Frankenthal Frankenthal geht um die Welt

Voller Erinnerungen: Werner Schäfer mit seinem Leporello.
Voller Erinnerungen: Werner Schäfer mit seinem Leporello.

Es ist ein Erinnerungsstück in mehrfacher Hinsicht: das historische Leporello mit Rheinpanorama, das Werner Schäfer in die Ausstellung „Lieblingsstück“ des Frankenthaler Altertumsvereins im Erkenbert-Museum gegeben hat. Als Souvenir hat es ein russischer Reisender wohl im 19. Jahrhundert von einer der damals beliebten Rheintouren mit nach Hause gebracht. Und der Frankenthaler holte es knapp 100 Jahre später zurück in die Pfalz als Andenken an seine Reisen durch die UdSSR.

Werner Schäfer traute seinen Augen nicht, als er 1983 in einem riesigen Buchladen in Kiew, der Hauptstadt der heutigen Ukraine, ein Faltbuch aufschlug und auf seine Heimatstadt blickte. Das rote Leinen des Einbands habe ihn bis in die hinterste Ecke des Ladens gezogen, darauf in goldenen Lettern: „Neues Panorama des Rheins von Mannheim bis Cöln“. Natürlich habe er es da kaufen müssen, erzählt Schäfer. Zumal der Stahlstich von 1886 nur 20 Deutsche Mark (knapp zehn Euro) gekostet habe, ein Bruchteil vom Preis für das Buch, das im Schaufenster ausgestellt war: ein Neckermann-Katalog. Die Modeseiten hätten die Leute benutzt als Vorlage zum Nachschneidern von Kleidung im westlichen Schick, erzählt Schäfer. Das felsige Mittelrheintal mit seinen vielen Burgruinen avancierte im 19. Jahrhundert von einer Durchreiseregion auf der klassischen Bildungsreise nach Italien zu einer touristischen Adresse erster Güte. Romantische Reisebeschreibungen zahlreicher Literaten machten es Ende des 18. Jahrhunderts populär. 1845 kam sogar die britische Königin Victoria. So entstanden auch hier mehr oder weniger naturgetreue Veduten der Sehenswürdigkeiten. Solche Aquarelle und vor allem Stiche waren bei Touristen der ersten Stunde, die noch nicht mit Fotoapparaten ausgestattet waren, sehr beliebt. In der Folge entstanden auch Faltbücher vom Mittelrhein, denen später meist noch Mannheim und Heidelberg angefügt wurden. Der Name Leporello geht übrigens auf Mozarts Opernfigur zurück. Der Diener von Don Giovanni entfaltet auf der Bühne sehr effektvoll eine lange Liste mit Amouren des Frauenhelds. Schäfers Rheinpanorama enthält neben den verschlungenen Windungen des Rheins 45 Bilder von Sehenswürdigkeiten. Und dazu zählt erstaunlicherweise auch ein Draufblick auf Frankenthal. Deutlich zu erkennen sind die Kirchen St. Dreifaltigkeit und Zwölf Apostel im Zentrum, die Synagoge als großer weißer Bau im Nordwesten und der Kanal zum Rhein vorbei an Mörsch. Die Bilder zeugen aber auch davon, dass Friedrich Herchenhein seinen Stahlstich des Rheinpanoramas mehrfach überarbeitet haben muss, mutmaßt Schäfer. Denn den Flussverlauf selbst zeigt es mit seinen vielen Mäandern, wie er vor Tullas erster Rheinbegradigung 1817 aussah. Die abgebildeten Sehenswürdigkeiten entstanden jedoch zum Teil viel später: das Wormser Lutherdenkmal von 1868 etwa. Und das 1886 gedruckte Leporello war seiner Zeit sogar voraus mit einer Ansicht des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, das erst 1897 am deutschen Eck bei Koblenz gebaut wurde. Reiselustig war auch Schäfer selbst. Mehrfach schloss sich der heute 68-Jährige in den 1980er-Jahren Wormser Gruppen an zu Fahrten in die damalige UdSSR. Baku hat er besucht, das noch so orientalisch ausgesehen habe, wie es Alexandre Dumas der Ältere beschrieben habe samt den Flammen aus dem Meer von der Gasförderung. Wolgograd, das frühere Stalingrad, sei ihm so nahe gegangen wie später die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, erzählt Schäfer. Selbst nach Murmansk hat es ihn verschlagen, die Stadt nördlich des Polarkreises mit dem berühmten eisfreien Hafen, in dem die sowjetischen Atom-U-Boote stationiert waren. Der Hafen war militärisches Sperrgebiet bis 1991, doch er habe ihn dennoch fotografiert: mit einem Spiegeltrick. „Wir haben auf unseren Reisen immer ein Ziel vorgeschrieben bekommen, wo wir eigentlich gar nicht hin wollten“, erzählt Schäfer. Dass die Wahl der Sowjets ausgerechnet auf Murmansk fiel, wundert ihn noch heute, zumal die Gruppen mit Aufpassern an der Seite und Mikrofonen auf den Hotelzimmern immer unter Beobachtung standen. Über 24 Stunden habe die Fahrt bis hinauf gedauert. Er habe kaum ein Auge zugetan – nicht, weil das Abteil so unbequem gewesen wäre, sondern wegen der einmaligen Gelegenheit den russischen Alltag zu beobachten: draußen wie drinnen. Denn ihren abgeschotteten Bereich im einzigen Erste-Klasse-Waggon hätten die Deutschen verlassen müssen, um zum Speisewagen zu gelangen, der am anderen Ende des Zugs eingehängt war. Und es war ein sehr langer Zug, der von drei Loks gezogen wurde, sagt Schäfer. Viele spannende Eindrücke hat Schäfer auf seinen Russlandreisen gesammelt. Noch nachhaltiger aber sei sein Leben von den Mitreisenden geprägt worden. Darunter zum Beispiel die 1997 verstorbene Wormser SPD-Politikerin Lucie Kölsch. Sie habe durch den Besuch des jüdischen Kindergartens viele Wormser Juden gekannt und sich für die Städtepartnerschaft ihrer Heimatstadt mit Tiberias (Israel) eingesetzt. Das habe Schäfer zu seinem eigenen jahrelangen Engagement im Förderverein für jüdisches Gedenken Frankenthal inspiriert. Für die umfangreiche Unterstützung an der Familienforschung des New Yorker Rabbiners Peter Schweitzer, dessen Urgroßvater das Kaufhaus Schweitzer & Wertheimer am Marktplatz in Frankenthal gründete, hat Schäfer 2016 im Berliner Abgeordnetenhaus den deutsch-jüdischen Geschichtspreis der amerikanischen Obermayer Foundation erhalten. Für Rabbi Schweitzer hat Schäfer einen Besuch in der Berliner Grunewaldvilla von dessen Großvaters organisiert. Und dieses Frühjahr hat Schäfer das erste New-York-Tagebuch von Schweitzers Vater, der als 17-jähriger von Berlin in die USA emigrierte, ins Englische übersetzt – „sehr erschütternd“, sagt Schäfer. Seit 20 Jahren arbeitet Schäfer auch in der Redaktion der „Frankenthal einst und jetzt“ mit. Als Leiter der Medienerstellung bei KSB sei er von seinem früheren Arbeitgeber als Vertreter der Industrie in das städtische Gremium delegiert worden. Zum Altertumsverein aber sei er erst kürzlich gekommen, als dieser mit dem Verein für jüdisches Gedenken eine Kooperation beschloss. Ausstellung Die Ausstellung „Lieblingsstück. Mein Objekt schreibt Geschichte“ zum Jubiläum 125 Jahre Altertumsverein ist bis zum 18. Oktober im Erkenbert-Museum zu sehen. Präsentiert werden Exponate, die Mitglieder aus ihrer privaten Sammlung ausgewählt haben.

Ausschnitt aus dem Rheinpanorama mit Frankenthal: Deutlich zu erkennen sind die Kirchen St. Dreifaltigkeit und Zwölf Apostel im
Ausschnitt aus dem Rheinpanorama mit Frankenthal: Deutlich zu erkennen sind die Kirchen St. Dreifaltigkeit und Zwölf Apostel im Zentrum, die Synagoge als großer weißer Bau im Nordwesten und der Kanal zum Rhein vorbei an Mörsch.
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