Frankenthal Die Gier des Geldadels

Die Luft wird dünner in den eisigen Höhen der Hochfinanz – und in dem Banktresor, in dem Claus Neumann aus Versehen eingesperrt ist. „Theorie der feinen Leute“ nennt der Kabarettist Claus von Wagner sein Programm. Die pfiffige Mischung aus Ein-Personen-Theater und Kabarett präsentierte er am Sonntag im Wormser Lincoln-Theater.

„Die Leute sprechen mich auf der Straße an, kennen aber meinen Namen nicht“, sagte der Künstler beim Begrüßen und Anwärmen des Publikums vor dem eigentlichen Programm. Im ZDF ist von Wagner in der „Heute-Show“ und mit der monatlichen Satiresendung „Die Anstalt“ präsent. In der vorletzten Sendung brachte der Kabarettist einen Sketch, der unter den Edelfedern des selbsternannten Qualitätsjournalismus für Aufsehen sorgte. Da zeigte er, zu welchen Eliten-Netzwerken und Think Tanks manche Schreiber und Herausgeber gehören. Und er zeigte, dass dies zu Interessenkonflikten führen kann, etwa wenn Journalisten über Strategien berichten sollen, an deren Entstehung sie hinter den Kulissen mitgewirkt haben. „Die Sendung gibt es in der Mediathek – noch“, sagte von Wagner dem Wormser Publikum. „Die Theorie der feinen Leute“ ist ein sehr klug gesponnenes Stück über Gier und Betrug, über Finanzderivate und Zocker am Finanzmarkt, über Banken und Betrogene, Wirtschaftswachstum und Schuldenkrise, kurz: über den Kapitalismus im 21. Jahrhundert. Weil diese Themen entweder zu dröge oder zu kompliziert sind, um damit ein Publikum zu unterhalten, hat von Wagner ein Stück drumherum geschrieben. Das geht so: Claus Neumann arbeitet als Wirtschaftsprüfer in dem Unternehmen seines Vaters. Der alte Herr ist gerade gestorben, und der Junior soll sich um den Nachlass kümmern und bei der Trauerfeier eine Rede halten. Beim Sichten von Dokumenten im Tresorraum einer Bank wird Neumann versehentlich eingeschlossen. 13 Stunden hat er jetzt unfreiwillig Zeit, Vaters Aufzeichnungen zu sichten und die Rede zu schreiben. Nach und nach findet Neumann heraus, dass sein Vater und dessen Unternehmen geholfen haben, hoch riskante Geldanlagen sicher erscheinen zu lassen. Dadurch konnten Banken unbedarfte Anlegern zu fragwürdigen Investitionen überreden. Von Wagner gelingt es, die Geschichte spannend zu halten. Was besonders frappierend ist: Das Verhalten von Banken, Anlageberatern und Wirtschaftsprüfern beschreibt der Autor sehr kenntnisreich und hintergründig. Banken finanzieren Ratingagenturen, die wiederum Finanzprodukte dieser Banken bewerten – klingt einfach, macht sich aber kaum jemand klar. Finanzexperten geben Prognosen ab, doch „die Märkte“ verhalten sich willkürlich, zufällig und unvorhersehbar. „Wir rasen in einem Auto mit 200 Sachen und die Experten gucken durch das Heckfenster nach hinten auf die Straße und rufen nach vorne, ob wir rechts oder links abbiegen sollen“, lässt von Wagner seinen Protagonisten erklären. Dass von Wagner seine Ansichten mit vielen Tatsachen untermauert, erinnert etwas an Volker Pispers, ohne jedoch dessen massive Anführungen von Daten und Statistiken. Dass die Deutsche Bank Wetten auf die Lebenserwartung in einem Fonds über 200 Millionen Euro aufgelegt hat, klingt erst nach überbordender Fantasie des Kabarettisten – ist aber real. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete im Wirtschaftsteil Anfang Februar des Jahres unter der Überschrift „Die Wette auf den Tod“. Während Neumann im Tresor die Tätigkeit seines Vaters rekonstruiert, bekommt der Sohn und mit ihm die Zuhörer das Bild eines zwielichtigen Helfers. Doch als die Rollen von Gut und Böse eindeutig verteilt scheinen, nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung. Das ist sehr gelungen, nicht nur, weil es die Spannung im Theater hält, sondern weil im richtigen Leben Gut und Böse auch nicht so eindeutig und einfach zu erkennen sind.

x