Frankenthal „Demenz als Lebensform akzeptieren“

Kranke gehören in die Mitte der Gesellschaft – dafür plädierte Rechts- und Sozialwissenschaftler Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule Freiburg bei seinem Vortrag mit anschließender Diskussionrunde am Donnerstagabend im Hieronymus-Hofer-Haus. Sein Thema: „Sorgende Gemeinschaft – Zuversicht für ein Leben mit Demenz“. Rund 50 Zuhörer waren zu der Veranstaltung der Lokalen Allianz für Menschen mit Demenz gekommen.

Klie warb für eine neue Sichtweise auf Demenz. Die Begleitung Kranker gehöre in die „sorgende Gemeinschaft“ der Nachbarschaft. Er zog den Vergleich mit dem indischen Kerala, wo ein Netzwerk von Menschen Sterbende auf ihrem Weg begleiten. Für uns hieße die Herausforderung mit Millionen Dementen zu leben. Über 80 Arten der Demenz seien bekannt, Medikamente und Therapien bewirkten wenig, die Betroffenen hätten keine Aussicht wieder gesund zu werden. „Wenn Millionen in Zukunft davon betroffen sind, müssen wir das als Lebensform akzeptieren“, sagte der Experte. Man müsse gute Lebensbedingungen für diese Menschen schaffen. Das könnten die Fachleute aus Medizin und Pflege nicht alleine bewältigen. Die Ausgangslage in Deutschland sei nicht schlecht, die Pflegebereitschaft sehr hoch, mit über 50 Prozent die höchste in Europa. Dabei verlören die Familien an Tragfähigkeit, da durch die große Mobilität viele keine Angehörigen mehr in ihrer Nähe haben. Kinder büffelten zwar in der Schule für die Mint-Fächer, lernten aber keine soziale Verantwortung. Klie warb daher für ein Modell eines genossenschaftlichen Miteinanders. Nur so habe unsere Gesellschaft eine Zukunft. „Der Kapitalismus verbraucht nicht nur die Ölreserven, sondern auch die Solidaritätsreserven.“ Wichtig sei eine andere Herangehensweise in Sachen Pflege, ein sensibler Umgang mit den Betroffenen. Die Kunst sei, Kränkung nicht zur Demütigung werden zu lassen. Das Podium mit Dekanin Sieglinde Ganz-Walther, Nicola Hagemann vom Hieronymus-Hofer-Haus, Florian Kutschke-Käß vom Caritas-Altenhilfezentrum Heilig Geist und Sigrid Weidenauer-Sauer vom Pflegestützpunkt Frankenthal zeigte sich sichtlich beeindruckt von den Ausführungen des Experten. Die Teilnehmer berichteten, dass die vor zwei Jahren gegründete Lokale Allianz einen Fragebogen für Angehörige herausgegeben habe, der den Pflegebedarf ermitteln soll. In einem Wegweiser für Frankenthal seien alle Angebote für Demenzkranke und Angehörige aufgelistet. Kutschke-Käß äußerte Zweifel, ob das von Klie geforderte neue Herangehen aus der Gesellschaft heraus kommen könne. „Da brauchen wir Vorbilder, müssen nachhelfen“, meinte er. Dekanin Ganz-Walther regte an, die Mitglieder des Krankenpflegevereins aufzusuchen. So könne man sich ein Bild machen, vielleicht schon jetzt Hilfsbedürftige finden. Man müsse auch im Alltag die Augen offen halten und mal Menschen ansprechen, die desorientiert oder hilfsbedürftig wirken. Auch solle man mit dem Thema in die Schulen gehen. Hagemann berichtete von positiven Erlebnissen aus dem Hieronymus-Hofer-Haus. (enk)

x