Donnersbergkreis Schattenwürfe gelebten Lebens

Obermoschel. Drei Frauen am Pflug, gebeugt von der Last, davor tief eingeschnittene Traktorspuren, die sich zum Betrachter hin öffnen, als wollten sie ihn aufnehmen in das Bild. Hinter der Szene zeichnet sich blass ein Text in Sütterlinschrift ab: Schattenwürfe des Gewesenen, von Anja Hantelmann auf den löchrigen, bröckelnden Putz eines Raums im verwaisten früheren Obermoscheler Finanzamt gebannt. Ein Raum, der fesselt und anrührt im Reigen der geisterhaft aufscheinenden Szenen gelebten Lebens.

Anja Hantelmann, Stipendiatin des Kunstfördervereins (KfV), hat ihren Plan umsetzen können, den im Städtchen mancherorts auffälligen Verfall ungenutzter alter Bausubstanz ganz unmittelbar und direkt aufzugreifen – sie nimmt ihn selbst als Mal- und Zeichengrund. Einer der Räume ist nun voll von der Alltagsgeschichte, von der das Mitte des 19. Jahrhunderts als Privatvilla errichtete Haus Zeitzeuge gewesen ist. Szenen bäuerlichen Lebens, ein altes Familienbild, darüber in zarter Farbigkeit Kinder beim Spielen. Hoch an der Wand das Bild einer alten Frau mit Kopftuch und in dunkler Kleidung, mit Kohlestrichen aus dem zarten Grün der alten Wandfarbe herausgeschält. Bomber unter der Decke erinnern an schlimme Zeiten. Dazwischen Reste der mit Prägerollen aufgewalzten Wandmuster, mal original erhalten, mal malerisch nachempfunden. Die Ausstellung, die zur Eröffnung gut besucht war, ist vielgestaltig. Im Flur empfangen den Besucher Landschaftszeichnungen, kleinformatig, wie ein Band aufgereiht, ganz aus hell-dunkel Kontrasten herausgearbeitet, gegenüber großformatige Pusteblumen, bis in feinste, luftige Details mit dem Zeichenstift festgehalten. Die Pusteblumen finden sich im großen Saal wieder in malerischer Auffassung. Die Tempera-Gemälde, die hier zu finden sind, forschen allesamt Flüchtigem nach, vor allem dem Licht und seiner Formulierung des Augenblicks. Ein zerwühltes Bett, ein Kronleuchter voller Reflexe. Den stärksten Eindruck hinterlässt freilich der hintere Raum mit seinem auf die Wände geworfenen Panorama gelebten Lebens, den Schichtungen der Lebenswelten von Generationen. „Wie kann man Zeit darstellen?“, diese Frage habe sie beschäftigt, wie Hantelmann bei ihrer Einführung sagt – es geht auch hier ums Flüchtige, Dahinschwindende. Dem kommt die Darstellungsweise entgegen, das vorherrschende Schwarz-Weiß, die hier und da nur dezent eingesetzte Farbigkeit, das Überblenden der Epochen. Das Verblassen und Verströmen des Geschehens wird fühlbar – insofern gehe es ihr nicht um das Illustrieren von Geschichte, wie sie sagt. Sie verstehe ihre Bilder immer als Einladung, darin auch Geschichten zu (er)finden und fortzuspinnen. Ihre Anregung, den Raum auf sich wirken zu lassen und vom Empfundenen zu erzählen, griff KfV-Vorsitzender Uli Lamp auf, und erstaunlich viel trugen die Ausstellungsgäste zusammen. „Ein Denkmal“, würdigte Ulrike Pitz die Zeichnung der drei Frauen am Pflug, auch die Emotionalität in diesem Raum spreche sie an. Rainer Schlundt begrüßte es, dass das Bild einer jüdischen Familie Aufnahme fand, auch Heimatdichter Richard Müller sei zu sehen. Er erinnerte an den Bauherrn des Hauses „Maximilian Neu“ und seine Bedeutung für das Städtchen – und an die Zeit, als das Haus „das Amt“, sein Chef der „Herr Rat“ war. Die Nutzung der Räume als erster Selbstbedienungs-Markt der Stadt klang an. Die Bilder von der Handwäsche im Zuber, die alte Frau im dunklen Habit, die Bomber waren weitere Stichworte – aber auch die Qualität der Arbeiten, die Reinhard Geller als Künstlerkollege hervorhob. Es habe in den gut 30 Jahren des KfV-Stipendiums tolle Begegnungen gegeben, die mit Hantelmann sei aber etwas Besonderes, würdigte Lamp nach der Begrüßung durch Bürgermeister Holger Weirich die Künstlerin aus Offenbach – die wegen ihrer verspätet zugestellten Bewerbung beinahe durch die Maschen gefallen wäre. Eine bereits gefällte Jury-Entscheidung sei nach Durchsicht ihrer Bewerbung umgehend revidiert worden. Ihre Arbeiten leuchteten hinter die Dinge, gäben Anstoß zum Hinterfragen und schafften es, dass man nach kurzer Zeit „sowas von mittendrin ist“, so Lamp. Den Dank gab Hantelmann zurück, die das Stipendium als etwas Ungewöhnliches würdigte. „Offenbach hat so etwas nicht.“ Auch die Resonanz sei beachtlich. Dank sagte sie Karl Ruppert – Hausmeister der Stipendiatenwohnung, vielseitiger Helfer und der Einzige, der das Fortschreiten der Arbeit mitverfolgen konnte – sowie der Hausbesitzerin für die Bereitschaft, die Räume zur Verfügung zu stellen. Als Wermutstropfen bleibt, dass die Wandzeichnungen ihrerseits flüchtig sind und dem Zahn der Zeit, von dem sie erzählen, selbst unterliegen oder künftiger Nutzung eventuell weichen müssen. Die Idee des KfV, eine fotografische Dokumentation als Jahresgabe aufzulegen, fand Beifall.

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