Donnersbergkreis Parallelen zur Kleinen Residenz

Seine erste schriftliche Erwähnung im Jahr 774 verdankt Kirchheimbolanden der Schenkung eines Herrn Wulfrich an das mächtige Reichskloster Lorsch. Für die Ewigkeit bewahrt ist die Nachricht darüber im berühmten „Lorscher Codex“. Der 1240. Wiederkehr dieses stadtgeschichtlich bedeutsamen Datums hatte Klaus Kremb voriges Jahr einen Vortrag im Museum im Stadtpalais gewidmet. Nun folgte der Theorie die Praxis: Auf Einladung des Kirchheimbolander Vereins Heimatmuseum machten sich stadtgeschichtlich Interessierte auf zur Reise in die karolingische Zeit, also vor allem die Zeit Karls des Großen.

Die Reste der Lorscher Klosteranlage mit ihrem Prunkstück, der Königshalle mit reicher Bauzier, sind Unesco-Weltkulturerbe. Und seit vorigem Jahr ergänzt um den nach Angaben der Betreiber in Europa einmaligen Versuch des Nachbaus einer Siedlung aus der Karolingerzeit: eines Herrenhofes mit Wohn- und Wirtschaftsbauten, Weiden für alte Haustierrassen, Nutzgärten. „Lauresham“ heißt diese Siedlung mit rund 20 Holzhäusern nach dem Namen Lorschs in der Karolingerzeit. Hat man sich so wie Lauresham auch Kirchheimbolanden zur Zeit Wulfrichs vorzustellen? Eine Frage, die nur ins Reich der Fantasie führen kann. Denn anders als von Steinbauten – wie der später besuchten romanischen Basilika in Michelstadt-Steinbach – blieben von den Holzhäusern und dem Leben darin wenig Spuren und Zeugnisse. Umso eindrucksvoller war auch für die Kirchheimbolander, mit welch ambitionierten Projekten sich die „Laboranten“ hier dem mittelalterlichen Leben jener Epoche wieder nähern wollen. Einen großen Zeitsprung, mit zumindest mittelbaren Bezügen zu Kirchheimbolanden und zum Donnersberg, gab es danach in zwei kleinen Residenzen der „Erbacher“ Grafen im Odenwald. Kleinstädte als Herrschaftssitze waren für das kleinstaatliche Deutschland typisch – wie in Kirchheimbolanden, so auch in Michelstadt-Steinbach und Erbach. Am Schloss Fürstenau, Sitz der Linie Erbach-Fürstenau, machte Historiker Kremb, der die Exkursion leitete, sogar auf eine direkte Brücke zur Nordpfalz aufmerksam: den Ingenieur und Architekten Friedrich Gerhard Wahl, der, zunächst in Diensten von Pfalz-Zweibrücken stehend und in dieser Mission 1786 auch Planer der protestantischen Kirche von Obermoschel, im Gefolge der französischen Revolution nach Michelstadt floh und für die Erbach-Fürstenauer ein klassizistisches Neues Palais als Erweiterung ihres Schlosses entwarf. 1814 kehrte Wahl in die Pfalz zurück und wirkte hier zunächst als Oberinspektor des Straßen- und Brückenbaus, schließlich als Königlicher Bezirksingenieur in Kaiserslautern. In Erbach taten sich noch augenfälliger bauliche Parallelen zur Kleinen Residenz Kirchheimbolanden auf. Nicht nur, dass der barocke Teil der prächtigen, heute großteils dem Land Hessen gehörenden Schlossanlage der Grafen von Erbach-Erbach etwa zur gleichen Zeit wie das Kirchheimbolander Schloss der Nassau-Weilburger begonnen wurden. Auch das Innere der nahen evangelisch-lutherischen Stadtkirche weist Ähnlichkeiten mit der Paulskirche auf. Analogien betreffen indes selbst die jüngere Geschichte, wie Kremb schilderte. Auch in Erbach wollte sich in den 1960er/70er Jahren Modernisierungswahn brutal Raum schaffen für massive Betonbauten. Dort wie hier wurden die hochfahrenden Pläne, die das Gesicht beider wesentlich vom Barock geprägten Bilderbuch-Altstädte zerstört hätten, jedoch nie verwirklicht – weil sie an den örtlichen Bedürfnissen vorbei gingen, gottlob unbezahlbar waren und weil sich Protest regte. In Erbach führte er dazu, dass eine Bürgerinitiative die Wiederherstellung des verwilderten Lustgartens und der Orangerie durchsetzte. Heute ist in dem Barockbau ein zweistöckiges Café untergebracht. Ganz so weit ist man in Kirchheimbolanden zwar noch nicht, aber immerhin auf der Zielgeraden. Nach reichlich geistiger und zusätzlich mit literarischer Beikost verfeinerter Nahrung aus Klaus Krembs unerschöpflichem historischem Vorratsspeicher durften die Exkursionsteilnehmer sich im Café der süßen Völlerei hingeben. In der Hoffnung, dass bald auch für Kirchheimbolandens Orangerie ein Gastronom gefunden wird. (bti)

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