Donnersbergkreis „Die Kläranlage schreibt mir eine SMS“

„Schön tief eintauchen.“ Mit – zugegeben – ein wenig Überwindung jongliere ich die lange Stange in Richtung Klärbecken. An ihrem Ende hängt ein Plastikgefäß. Meine Aufgabe: eine Probe des sogenannten Belebtschlamms nehmen. „Das reicht schon, jetzt hier in das Glas füllen“, weist mich Simon Sproß an. Der „Abwassermeister“ kennt hier in der Kriegsfelder Kläranlage jeden Handgriff aus dem Effeff. Sproß sorgt dafür, dass aus den Abwässern der Gemeinde wieder sauberes Wasser wird. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Abwassermeister, das ist sein Traumberuf, sagt er.

Schon auf der Fahrt zur Kläranlage staune ich über dieses leidenschaftliche Bekenntnis des 29-Jährigen, an dem ich aber nicht eine Sekunde zweifele. „Ich habe vorher Schreiner gelernt, während meiner zweiten Ausbildung zum Bürokaufmann ist dann mein Ausbildungsbetrieb pleitegegangen. Durch Zufall bin ich so zu diesem Beruf gekommen“, erklärt Sproß, der in Alzey lebt und seine Ausbildung zur „Fachkraft für Abwassertechnik“ in Monsheim absolvierte. „Der Job ist unglaublich komplex. Chemie, Physik, Handwerkliches, aber auch Recht und Umweltschutz sind enorm wichtig.“ Für ihn sei aber das Entscheidende, dass er jeden Tag nach Hause gehe mit dem Wissen, etwas Sinnvolles für die Menschen und die Natur getan zu haben. „Klar gibt es Vorurteile, etwa wenn man eine Frau kennenlernt und sagt, was man macht. Jeder denkt doch, ich rühre den ganzen Tag in der Scheiße. Aber wenn ich ein bisschen erzähle, ändert sich das doch sehr schnell.“ Jeden Tag müssen die sieben eigenen Kläranlagen der VG Kirchheimbolanden von den Abwasser-Fachleuten kontrolliert und gewartet werden. Viele Abwässer wie die der Kreisstadt fließen direkt ins große Klärwerk des Abwasserzweckverbandes nach Monsheim. Orbis, Mörsfeld, Oberwiesen, Dannenfels, Jakobsweiler, Bennhausen und eben Kriegfeld liegen dafür aber zu ungünstig. „Deshalb gibt es hier eigene Kläranlagen, außerdem sind wir aber auch für diverse Pumpstationen zuständig, die die Abwässer durch die Kanäle befördern“, erklärt mir Sproß. Sommer wie Winter, wochenends wie feiertags, müssen Sproß und seine Kollegen die technischen Abläufe in der Anlage kontrollieren. So natürlich auch heute. Wir beginnen mit einem Rundgang. An einer Ecke des Geländes kommt das Abwasser in einem großen Flutkanal an. Zwei Meter Durchmesser hat das Rohr. Darin läuft heute allerdings nur ein kleines Rinnsaal. „Nicht viel los zurzeit in Kriegsfeld“, kommentiert Sproß lachend. Rund fünf Liter die Sekunde fließen im Moment, verrät uns ein Sensor tief unten in einem Schacht. „Bei starkem Regen kommen plötzlich Unmassen von Wasser an“, sagt Sproß. „Dann läuft hier alles sehr schnell voll.“ Ab elf Litern die Sekunde fahren automatisch Schotten zu, damit die Kläranlage nicht gefährdet wird. Weiter geht’s zur Halle mit der ersten Reinigungsstufe, der mechanischen. „Ex-Bereich“, nennt Sproß diesen Raum, dessen Tür er vorhin schon aus Sicherheitsgründen weit geöffnet hat. „Ex“ steht für Explosions-Gefahr! Sehr vertrauenserweckend finde ich das zwar nicht, aber dennoch müssen wir da rein. „Das ist der Ort in der Kläranlage, der am meisten stinkt“, meint Sproß – und ja, das hätte ich wohl auch selbst gemerkt. Ist die restliche Kläranlage auffällig geruchslos, riecht es hier doch so, wie man es sich vorstellt. Trommeln und Rechen sammeln die festen Stoffe, die nicht ins Wasser gehören. Tampons, Kondome, Papierreste. Eine Schnecke befördert den Unrat in eine Mülltonne. „Wir haben da schon so einiges gefunden. Tote Tiere, eine goldene American-Express-Karte oder einen abgetrennten Finger“, erzählt Sproß – ich wende mich besser schnell dem Sandabscheider zu, der daneben steht. „Der Sand, der in die Kanäle geschwemmt wird, kann gereinigt und später wieder verwendet werden“, sagt Sproß. Von der Halle fließt das vorgereinigte Abwasser ins eigentliche Klärbecken. „Die große Magie der Kläranlage steckt im Belebtschlamm. Milliarden von Mikroorganismen fressen quasi die Schmutzstoffe auf“, erklärt mir Sproß den komplizierten chemischen Prozess anschaulich. Damit sie das tun, muss Sauerstoff ins Wasser. In einem weiteren Raum stehen dazu riesengroße Gebläse – auch die kontrollieren wir. Dann geht’s an die „Absetzprobe“, bei der – wie eingangs erwähnt – Klärwasser abgeschöpft und in ein Glasgefäß gefüllt wird. Nachdem ich die Probe aus dem Becken entnommen habe, muss sie nun 30 Minuten stehen. Braun und ziemlich eklig sieht die Brühe aus. Wir nutzen die Zeit, um das Betriebstagebuch auszufüllen. „Buch“ ist leicht untertrieben. Jede Seite hat Tischformat. Diverse Werte müssen abgelesen und notiert werden. „Wir haben hier zwar moderne Steuerungstechnik, bei der wir auch aus der Ferne per Laptop die gesamte Anlage kontrollieren können, aber die althergebrachte Dokumentation muss dennoch sein – auch für die zuständige Behörde, die uns regelmäßig kontrolliert“, sagt Sproß. Die rechtlichen Vorgaben seien enorm streng. Dank der ausgeklügelten Technik kann Sproß Temperatur, pH-Wert oder Sauerstoffgehalt jederzeit exakt bestimmen. Zusätzlich werden wöchentlich Proben genommen und im eigenen Labor analysiert. Wenn etwas nicht stimmt, müssen die Abwassertechniker sofort reagieren. „Wenn eine Störung auftritt, schreibt mir die Kläranlage eine SMS, auch nachts. Dann kann ich sofort entscheiden, was zu tun ist“, so Sproß. Die Abwassermeister hätten sogar schon in der Kläranlage übernachtet, als die automatische Steuerung ausgefallen war. „Die Kläranlage muss laufen, egal wie.“ Tagesroutine und aufwändige Wartungen oder Reparaturen wechseln sich ab, dadurch werde es nie langweilig, findet Sproß. Er lenkt meinen Blick auf unser Glasgefäß. Unglaublich! Die braune Brühe hat sich auf wundersame Weise verwandelt: Am Boden hat sich der Feststoff abgesetzt, quasi der Klärschlamm, der im großen Becken abgepumpt und als reinster Nährstoff zum Düngen auf die Felder kommt oder verbrannt wird. Darüber ist die ehemals braune Brühe jetzt kristallklar. „So können wir das Wasser wieder dem natürlich Kreislauf zuführen“, sagt Sproß sichtbar stolz. Ja, er hat seinen Traumberuf wirklich gefunden – und ich verstehe seine Faszination dafür nun ein ganzes Stück besser.

x