Donnersbergkreis „Das Alter wird die Krankheit nicht sein, an der ich sterbe“

Gewaltige Bühnenpräsenz: Christian Klischat.
Gewaltige Bühnenpräsenz: Christian Klischat.

«HARXHEIM.»Theater der „Bürger für Bürger“: An diesem frühsommerlichen Mittwochabend verwandelt sich das kleine „Alte Rathaus“ zu Harxheim in ein Henkershäuschen, der winzige, intime „Theader“-Raum in die Stube des Scharfrichters. Das dicht um die Bühne gruppierte Publikum wird in dem Stück von und unter der Regie von Götz Brandt hautnah Zeuge der letzten Vormittagsstunden des 21. November 1803, der letzten Stunden des berühmten Hunsrück-Räubers Johannes Bückler alias „Schinderhannes“, als der er bis heute bekannt ist.

Der tritt aber nicht selbst auf, seine Persönlichkeit erhellt sich aus dem furiosen Spiel Christian Klischats in der Rolle des Scharfrichters, der wiederum in die Rollen der Spießgesellen und Mitprofiteure, der Nahestehenden und Verfolger und nicht zuletzt der Opfer schlüpft. Er hat eine „Verabredung“ mit dem Schinderhannes vor den Toren der Stadt Mainz und will sich noch einmal vergegenwärtigen, wen er da vom Leben zum Tod befördern soll. Es wird ein wilder Auftritt, den der großartige Schauspieler – derzeit am Staatstheater Darmstadt aktiv – auf die kleine schwarze Bühne schleudert, diese möbliert nur mit Tisch, Stuhl, Napoleonporträt, denn wir befinden uns im zu dieser Zeit französisch okkupierten Gebiet links des Rheins, versehen mit sparsamen, aber bedeutungsvollen Requisiten wie Gerichtspapieren, Kerze, Weinflasche und anderen kleinen Dingen, die, wenn es hoch hergeht, schon mal durch den Raum fliegen. In seinen schwarzen Henkersklamotten macht der Mann freilich einen derangierten Eindruck – mit Hosenträgern über weißem Unterhemd. Schuhe, Weste, Jacke und Hut dienen vorerst nur zu wechselnder Verkleidung und werden erst am Schluss, als er zu seiner ernsten „Arbeit“ aufbricht, korrekt angelegt. Der Reigen der Figuren, die da auftreten, vermittelt überwiegend das Bild gequälter, traumatisierter Menschen, die unter den entsetzlichen Umständen während und nach kriegerischer Eroberung leiden, wenn die alte Ordnung zusammengebrochen ist, die neue noch nicht Fuß gefasst hat. Welche Rolle spielt da der Schinderhannes? Bekannt und verklärt durch Zuckmayers Drama als „edler Räuber“ in Robin-Hood-Manier, als Helfer der Armen, entsteht hier ein weniger vorteilhaftes Bild, das der historischen Wirklichkeit wohl näher kommt. Dabei bleibt offen, ob das verbrecherische Tun – Raubüberfälle, Schutzgelderpressungen, Einbrüche, auch mit tödlichem Ausgang – nur den widrigen Zeitumständen geschuldet war und dadurch gewissermaßen moralisch legitimiert, oder ob da einer mit seinen Spießgesellen doch als krimineller Chaos-Profiteur zu sehen ist, als gewissenloser Kriegsgewinnler auf Kosten wehrloser Menschen. Der Müller Glaser verteidigt ihn: „Franzosen, kaiserliche Truppen, wieder Franzosen sind wie Heuschrecken über uns gekommen! Da soll einer nicht rasend werden?“ Plünderung und Vergewaltigung seien an der Tagesordnung gewesen, „und kein gespannter Hahn, um sich zu wehren!“ Hannes und seine Männer hätten das Rechte getan, die Franzosen und ihre Sympathisanten zu „beklauen“, ihnen nicht „in den schwarzen Arsch zu kriechen.“ Auch der Metzger bewundert den Räuber, der ihm wohl günstig zu gestohlenen Pferden, Kälbern, Schweinen verholfen hat. Einen ganz anderen Eindruck vermittelt der Pfarrer: Verbittert in der Kirche knieend klagt er über „Raubtiere! Mordbrenner in der Nacht!“ – Gerichtsprotokolle sprechen von „klaffenden Wunden“ der Opfer, von „eingedrückten oder abgesprengten Hirnschalen“, qualifizieren den Hannes und seine Leute als „Raubmörder“. – Der jüdische Kaufmann Samuel Ely klagt verzweifelt angesichts des erlittenen Überfalls („Geld oder Blut, Jud!“), der bald zu Wundbrand und Tod führen wird, unfreiwillig komisch in seinem jiddischen Dialekt: „Schlamassel! Der Jud wird nicht geschitzt!“ Juden als besonders praktische Opfer, da „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“, die hochtrabenden Ideale der Besatzer, für Juden offensichtlich am wenigsten galten. Hilflos der Auftritt der Mutter, die einst mit Mann und Kind nach Holzdiebstahl hatte fliehen müssen, unter kaiserliche Truppen geriet, von denen der Vater dann wieder desertierte. Sie singt ein Wiegenlied, das die Umstände von Hannes’ schlimmer Kindheit beleuchtet: „… der Vater hüt’ die Schaf, zwei schwarze und zwei weiße, die wolln das Kindlein beißen …“ Sie habe den „Bub“ immer wieder gewarnt: „Fürs Stehlen wird man gehängt!“ – aber er sei halt „verführt worden“. – Julchen, die Räuberbraut, die von Hannes ein Kind bekommt – würde sie aus ihm den „Ehrenmann machen, der sich sonnt in bestem Ruf“, wovon er zuletzt träumt, vom „Seiltänzer“ zum „Traumtänzer“ geworden, wie Gefährten urteilen? Dafür ist es zu spät. Die Besatzungsmacht stabilisiert sich, kriegt die Dinge besser in den Griff: Hannes wird gefasst – „die Fußeisen schlossen sich“, er gesteht und gibt in trügerischer Hoffnung auf ein mildes Urteil die Namen seiner Mitstreiter preis. Es kommt zum Prozess in Mainz mit 400 Zeugen, der aber die ursprüngliche Vorahnung des 26-Jährigen bestätigt: „Das Alter wird die Krankheit nicht sein, an der ich sterbe.“ Julchen dagegen, mit Baby an der Brust und den Geliebten verleugnend, erlangt die Gnade der Richter und wird noch lange leben dürfen. Klischat verkörpert das alles ganz allein. Sich völlig verausgabend, mit gewaltiger, auch körperlicher Präsenz, verschwitzt, unter gelegentlich drastischen Entblößungen, die den Verfall auch von Schamgrenzen in solchen Zeiten widerspiegeln. So wird „Schiss-Haben“ und vor-Angst-in-die-Hose-Pinkeln realistisch angedeutet und das Taschentuch dient zum Trocknen verschiedener Körpersekrete: Gewagte, aber den Umständen angemessen erscheinende Vorgänge. Höchst beeindruckend auch die mimische und gestische Wandlungsfähigkeit, das sich-Verrenken, Gestikulieren, Grimassieren, dann wieder visionär in-die-Ferne-Schauen. Und die Vielfalt der Stimmregister! Glaubhaft brutal, zynisch, klagend, raunend, triumphierend … Zum Schluss – es schlägt zwölf vom Dom – ist der Scharfrichter wieder er selber. Ordnet seinen Anzug und begibt sich zur „Arbeit“. 40.000 Gaffer warten auf ihn und das Ende des Schinderhannes unter dem Fallbeil, samt 19 seiner Kumpane.

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