Donnersbergkreis Dame auf d5 – ein Todesurteil

Ist schon ein „Experte“, kann aber ein ganz Großer werden: David Musiolik aus Bolanden.
Ist schon ein »Experte«, kann aber ein ganz Großer werden: David Musiolik aus Bolanden.

«Bolanden.» Dame auf d5. Als der Autor dieses Textes guten Gefühls zieht, grinst der Junge auf der Gegenseite des karierten Quadrats schelmisch. Er fährt sich durchs blonde Haar, denn er weiß: Das war das Todesurteil. „Was denkst du, wie lange du noch durchhältst?“, fragt der Vater, stiller Beobachter am Esszimmertisch, lachend. Fünf, sechs Züge. Mehr nicht. Dann werde die Blockade um den König so aufgedröselt sein, dass der Junge ihn wie bei einer Treibjagd ins untere Eck des Karrees drängt. Mit allem, was in Schwarz auf dem Brett steht. Türme, Dame, Springer, Pferd. Selbst mit den Bauern. Also Dame auf d5. Gezogen ist gezogen. Fehler. „Manchmal muss ich bei einem Zug schon 30 Minuten überlegen“, wird David Musiolik (12) später erzählen. Hier nicht. Er beugt sich übers Brett und kassiert die gefallene Dame. „Wer einmal falsch zieht und sich nicht konzentriert, kann die Partie fast einstellen“, weiß er. Nach einer guten halben Stunde und insgesamt 50 Zügen verliert der weiße König seine Krone und steht Schachmatt. Es ist das „Spiel der Könige“ – und ein von Vielen unterschätzter Denksport. Hatte Schach in der Gesellschaft jahrelang ein angestaubtes Image, erlebt es spätestens seit der Dominanz des extrovertierten Norwegers und Abonnement-Weltmeisters Magnus Carlsen eine Renaissance. Musiolik ist Zwölf. Noch kein Genie, aber er könnte am Brett eines werden. Über die Hälfte seines Lebens zieht er die Figuren über die Quadrate, in der deutschen Rangliste seines Jahrgangs ist er Vierter, unter den Besten 200 weltweit. Zur Einstufung: Mit knapp 2100 ELO-Punkten wird der Siebtklässler vom Weierhof als „Experte“ gewertet – gute 100 fehlen ihm, dann hätte er den ersten Meistertitel des Weltverbands FIDE. Aber der, sagt Vater Peter Musiolik (50), „ist ihm egal“. „Ich will gegen den ein oder anderen eines stärkeren Niveaus gewinnen. Einfach besser werden“, betont der Zwölfjährige. Und das wird er. Von Woche zu Woche. Wenn er die letzten Turnierspiele komplett rekapituliert, sie auf Fehler und Alternativvarianten analysiert, wenn er in der 1. Pfalzliga für den SC Ramstein-Miesenbach auf Punktejagd geht. Dorthin wechselte er 2016 von seinem Ausbildungsverein TSG Eisenberg. Um „was Höheres zu spielen, bessere Gegner zu haben“, erklärt er. Gerade in der Vorwoche trat Musiolik im hessischen Heusenstamm an, bei einem Wettkampf mit über 300 Teilnehmern. Großmeister waren da, Internationale Meister, aus Belgien, Indien. Startplatz 144 verwandelte Musiolik in Rang 35 … Wie wird man als Zwölfjähriger am Brett so gut? Sergey Galdunts kann Antwort geben. Er gehört zum erlesenen Kreis der weltweit etwa 1600 Großmeister – der höchste Grad, den ein Schachspieler erreichen kann. Galdunts war armenischer Meister, saß für die Nationalmannschaft am Tisch. Der 52 Jahre alte Mannheimer ist Musioliks Coach. Einmal in der Woche trainieren sie via Live-Schaltung. Was Galdunts nicht gerne macht: Talente in jungen Jahren loben. Das könne ihnen Konzentration rauben, sie zum Ausruhen bewegen. „Talent ist nicht das einzige. Natürlich ist es wichtig, aber gerade in dem Alter schafft nur der den Weg, der viel macht. Der Turniere spielt, der die Arbeit umsetzen kann“, manifestiert der Großmeister. Über David Musiolik sagt er: „Er ist jung, er wächst noch. Aber sein Talent ist unglaublich.“ Zu arg in himmlische Sphären heben wolle er ihn nicht. Abwarten, konzentrieren, arbeiten. Klar, Potenzial ist die Voraussetzung. Das hat Musiolik, er ist hochbegabt. Was er daraus macht, steht auf einem anderen Blatt. Schlecht sieht’s nicht aus. Die Kunst beim Schach ist die Antizipation. Das vorausschauende Planen. Über vier, fünf Stufen. Zieht Musiolik, hat er die fünf wahrscheinlichsten Antworten des Gegners im Kopf. Und wiederum die eigene Reaktion in allen Varianten und so weiter. Mit jedem Zug gibt es neue Alternativen. Das erfordert „schnelles Berechnen und Überlegen“, denn „die Zeit läuft auf der Uhr“, weiß Peter Musiolik. „Man muss sich da tief in die Varianten reinsetzen“, sagt Sohn David. Das kann so weit gehen, dass er über 50 potenzielle Züge abrufen kann. Denn der Kopf eines guten Schachspielers funktioniert wie eine geölte Maschinerie. Es rattert. Zum Beispiel kann der Weierhöfer Partien aus den letzten zwei, drei Jahren auf Anhieb abspulen. Neue Situationen können altbekannte sein. Stichwort „Fotografisches Gedächtnis“. „In letzter Zeit wird er immer besser“, resümiert Galdunts. Musiolik, nebenbei Kickboxer „zum Ausgleich“, ist Rheinland-Pfalz-Meister, er war bei Deutschen Titelkämpfen, auf der WM. Man wird von ihm hören …

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