Bad Dürkheim Der Sarotti-Mohr hat ausgedient

1918 hat der Reklamekünstler Julius Gipkens das Schokoladen-Logo entworfen.
1918 hat der Reklamekünstler Julius Gipkens das Schokoladen-Logo entworfen.

„Der Mohr hat seine Arbeit getan, der Mohr kann gehen“, grummelt der schwarzhäutige Muley Hassan, als der Graf ihn herumkommandiert: „Geh ins Vorzimmer, bis ich läute.“ Der Dichter Friedrich Schiller benutzte den Schwarzen als Figur des Handlangers, der spitzbübisch im Intrigenspiel hilft. Dieses Klischee des Dieners ist es, das auch an dem historischen Sarotti-Logo so stört, das im Mannheimer Veranstaltungshaus Capitol über der Bar hängt und seit einem halben Jahr für Diskussionen sorgt. Die Geschäftsführung muss nun abwägen. Soll es abgehängt werden, weil es rassistisch ist? Soll es aus Nostalgie bleiben? Eine niedliche Figur mit Kulleraugen, pechschwarzer Haut, Pluderhosen, Turban und roten Lippen. „Das ist doch ein freundliches, positives Kerlchen“, entgegnet eine Zuhörerin bei einer Diskussionsrunde des Capitols. „Mich erinnert es daran, wie lecker als Kind der erste Bissen Schokolade schmeckte“, sagt ein anderer. Die beiden bleiben unter den rund 60 Teilnehmern an diesem Abend eine Minderheit, repräsentieren aber die Meinung der Mehrheit, wie sie sich in den Medien dazu rege geäußert hat. Der edle Mohr als König und Mediziner Entworfen wurde das Logo 1918 vom Reklamekünstler Julius Gipkens, vermutlich weil die Fabrik in der Mohrenstraße stand. Ein solcher Straßennamen verweist darauf, dass dort früher Sklaven verkauft wurden. „Der Künstler hat aber nichts mit Kolonialismus zu tun, sondern spielt mit mehreren Assoziationen und nimmt barocke Vorbilder auf“, meint Ulrich Nieß vom Marchivum, der auf Bitte des Capitols die Entstehung der Werbung recherchierte. Nieß blickt zurück auf Gemälde des 14. Jahrhunderts, als die Heiligen Drei Könige verehrt und darunter auch Schwarze dargestellt wurden. „In meiner Kindheit war der Mohr positiv besetzt“, sagt Nieß. Tatsächlich bezieht sich das Althochdeutsche „mor“ auf die Mauren, deren fortschrittliches medizinisches Wissen geschätzt wurde. Heute zeugen davon noch viele Mohren-Apotheken. Der Süßwaren-Konzern Stollwerck hat sich trotzdem 2004 vom Sarotti-Mohren verabschiedet und lässt einen goldhäutigen Magier mit Sternen jonglieren – vielleicht aus Einsicht, ganz sicher aus ökonomischen Überlegungen. Wer auf dem globalen Markt konkurriert, will keine Käufer unnötig verschrecken. Rassismus funktioniert als unsichtbares Machtgefälle Hier in Mannheim bleibt über der Bar die Reminiszenz an „gute, alte Zeiten“. Das waren sie aber nur für die einstigen Kolonialmächte, denen die Kakao und Schokolade das Leben versüßten, nicht für die Unterworfenen. Während des Sklavenhandels wurden schwarze Kinder verschleppt, um in Adelshäusern zu dienen. Es ist bitter, aber auch daran erinnert das Kindchen mit dem Tablett. Wir haben diese Zeiten nur vergessen. 1884 teilten die europäischen Großmächte auf der Kongokonferenz Afrika unter sich auf. 1904 schlug die Kolonialverwaltung des deutschen Reiches den Aufstand der Herero brutal nieder. 1907 zeigte eine Menschenausstellung in Mannheim ein Abessyner-Dorf mit „halbnackten Wilden“. Indem unterworfene Völker als unzivilisiert, triebhaft, faul und infantil dargestellt wurden, legitimierten die Kolonialmächte ihren Herrschaftsanspruch. So funktioniert Rassismus, als Machtgefälle. Egal, was sich der Künstler dachte: Der Sarotti-Mohr schreitet nicht als edler König daher, sondern als Karikatur eines exotischen Pagen. Süß wirkt er nur auf die, die in der Hierarchie ganz oben stehen. „Was hat dieses Bild in einer Kultureinrichtung zu suchen?“, wunderte sich Raoul Adjete aus Togo, als er das erste Mal das Logo sah. Die Schokolade hat er noch nie gekostet. Er fand den Diener nur herabwürdigend. Wer den Sarotti-Mohr bisher nicht als diskriminierend wahrgenommen hat, ist aber noch lange kein Rassist. Es zeigt nur, wie subtil die Herabsetzungen wirken und wie kritisch man Sprechweisen und Symbole hinterfragen muss. Mit einer Karikatur das Klischee umdeuten Muss der Sarotti-Mohr also abgehängt werden? Das wäre das Einfachste. „Er gehört zum Capitol“, protestierte ein Zuhörer, räumte aber ein: „Wenn dadurch ein Afrikaner weniger gejagt wird, hängt ihn meinetwegen ab. Aber wir müssen uns um das Wesentliche kümmern.“ Damit spricht er ein Dilemma der Rassismuskritik an: Die Begriffe wandeln sich im Laufe der Zeit, werden abwertend benutzt, werden ersetzt, wenden sich doch wieder ins Negative, werden korrigiert – von „Mohr“ zu „Neger“ zu „Schwarze“ zu „Afrodeutscher“ zu „People of Color“. Selbst unter dem Deckmäntelchen des Harmlosen kann das Machtgefälle erhalten bleiben. Man darf nicht bei Sprachkritik stehen bleiben, muss aber trotzdem irgendwo mit dem Umdenken beginnen, und wenn es bei der Wahl eines Wortes oder einer Dekoration ist. Falls die Sarotti-Reklame ins Marchivum verschwindet, geht allerdings eine Chance für Denkanstöße verloren. Dagegen könnte man auf die Kraft der Satire setzen, die in der postkolonialen Theorie als subversives Instrument vorgeschlagen wird. Möglich wäre, eins der zwei Leuchtbilder abzuhängen und dem Mohren eine weiße Version eines Dieners entgegenzusetzen. Eine Karikatur, von Künstlern entwickelt, die unsere gewohnten Bilder auf den Kopf stellt und die Stereotype der Werbung entlarvt. Im Schaukasten muss dazu die Wirkmächtigkeit der Symbole erläutert werden. Der Mohr hat ausgedient. Aber auf diese Weise braucht er nicht unbedingt zu gehen – er könnte zu einer originellen Mahnung werden, die im Capitol viele Menschen erreicht.

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