Rheinland-Pfalz Pirmasens: Stadt will keine Flüchtlinge mehr

Sozialer Brennpunkt: 65 Kinder aus 18 Nationen besuchen die Luther-Kindertagesstätte in der Pirmasenser Fußgängerzone.
Sozialer Brennpunkt: 65 Kinder aus 18 Nationen besuchen die Luther-Kindertagesstätte in der Pirmasenser Fußgängerzone.

Die Verantwortlichen appellieren an die Landesregierung, die Situation zu ändern.

Das Mittagessen ist vorbei. Jetzt schnell die Schuhe und die Jacke an – und dann bei dem tollen Wetter nichts wie raus ins Freie. Die Kleinen rennen, schreien, treten gegen Bälle und rutschen auf Bobby Cars vorbei – eine alltägliche Szene in Kindertagesstätten. Aber es gibt doch eine Besonderheit: Unter den zwölf Kindern, die sich auf der Dachterrasse der Luther-Kindertagesstätte in Pirmasens tummeln, sind gerade einmal drei Deutsche.

"Gefordert, aber nicht überfordert"

Die Momentaufnahme spiegelt den Alltag der Einrichtung wider: 65 Kinder aus 18 Nationen besuchen die Kita der Protestantischen Gesamtkirchengemeinde der westpfälzischen Stadt. Seit 2015 ist die Kita in der Pirmasenser Fußgängerzone offiziell als Einrichtung im sozialen Brennpunkt anerkannt. Unter den Kindern seien viele, deren Eltern schon in dritter Generation Sozialleistungen beziehen, berichtet Leiterin Daniela Kroiß. Die 30-Jährige sagt: „Wir sind gefordert, aber noch nicht überfordert.“

Stadt sieht anerkannte Flüchtlinge als Problem

Markus Zwick ist seit September 2017 Bürgermeister in Pirmasens. Zuvor stand er lange Jahre an der Spitze des Jugendamts und war Hauptamtsleiter. Der Jurist kennt die Probleme der Stadt. Derzeit treiben ihn vor allem die Flüchtlinge um. Ein Prozent aller Flüchtlinge im Land lebten in Pirmasens, sagt der CDU-Politiker. Dabei unterscheidet er: Es gebe einmal die Flüchtlinge, deren Asylantrag noch nicht entschieden ist. Sie werden vom Land den Kommunen entsprechend deren Größe und Wirtschaftskraft zugewiesen. Für tiefe Sorgenfalten auf Zwicks Stirn sorgt eine zweite Gruppe: Die Menschen aus anderen Ländern, die offiziell als Flüchtling in Deutschland anerkannt sind.

Bürgermeister will Wohnsitzauflage

Sobald sie nämlich diesen Status erreicht haben, stehen ihnen nicht nur staatliche Leistungen zu, sie dürfen auch frei entscheiden, wo sie leben wollen. Auffallend viele von ihnen haben Pirmasens als Wohnort gewählt (siehe: Daten und Fakten). „Seit März 2017 schlagen wir Alarm beim Land“, sagt Zwick. Bislang ergebnislos. Der CDU-Mann verweist auf das im August 2016 auf Bundesebene verabschiedete Integrationsgesetz. Es erlaubt den Ländern, eine Wohnsitzauflage auszusprechen. Das würde bedeuten, dass anerkannte Flüchtlinge in der ihnen ursprünglich zugewiesenen Gemeinde bleiben müssen – zumindest so lange, bis sie einen Arbeitsplatz gefunden haben.

"Keine signifikanten Missstände"

Die Landesregierung lehnt diesen Weg ab. Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) vertritt die Ansicht, dass „den hier lebenden Schutzberechtigten keine unnötigen Beschränkungen auferlegt werden“ sollen. Allerdings wird in Mainz das Pirmasenser Problem mittlerweile offenbar ernstgenommen. Das zuständige Integrationsministerium signalisiert Gesprächsbereitschaft. Morgen trifft sich Integrationsministerin Spiegel deshalb mit Bürgermeister Zwick und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände. Vorab teilt die Mainzer Behörde aber mit, dass in anderen Städten und Kreisen im Land „keine signifikanten Missstände oder Zuzugsbewegungen“ festgestellt wurden.

Herausforderung für Jobcenter

Möglich wäre, so das Integrationsministerium, dass das Land auf Grundlage des Aufenthaltsgesetzes eine Zuzugssperre für eine bestimmte Kommune verfügen kann. Entscheidendes Kriterium dafür sei, dass an dem jeweiligen Ort die Gefahr sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung bestehe. Auch die Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sei zu berücksichtigen. Harald Maurer vom Pirmasenser Jobcenters erzählt, dass die hohen Flüchtlingszahlen auch für seine Institution eine Herausforderung sind. 83 Prozent der Flüchtlinge, die Leistungen des Jobcenters beziehen, sind ihm zufolge von anderen Kommunen nach Pirmasens gezogen.

Günstiger Wohnraum

Sie kommen in die Stadt, weil hier Wohnraum nicht nur verfügbar, sondern auch noch vergleichbar günstig ist. Früher lebten in Pirmasens rund 60.000 Menschen. Heute ist es ein Drittel weniger. Für die 3,58 Euro, die das Jobcenter pro Quadratmeter Wohnraum bezahlt, lassen sich hier relativ gute und große Wohnungen finden. Hinzu kommt laut Maurer, dass Flüchtlinge städtische Strukturen bevorzugen und nicht auf Dörfern leben wollen. Wenn die anerkannten Asylbewerber aus anderen Gemeinden nach Pirmasens kommen, haben sie Anrecht auf eine Wohnungserstausstattung. 2015 lag der Etat des Jobcenters dafür noch bei 90.000 Euro. Im vergangenen Jahr waren es schon 365.000 Euro.

Zwölf zusätzliche Kita-Gruppen

Hinzu kommt, dass alle Flüchtlinge Integrations- und Sprachkurse absolvieren sollen. Maurer sagt, derzeit würden 337 Personen in Pirmasens auf einen solchen Platz warten. Der Mann vom Jobcenter hat zudem beobachtet, dass zunächst vor allem Einzelpersonen angereist sind. Mittlerweile kämen aber vermehrt fünf- bis sechsköpfige Familien an. Das hat Auswirkungen auf Schulen und Kitas. Zwölf zusätzliche Kita-Gruppen sind in den vergangenen Jahren in Pirmasens entstanden. Die Kommune peilte im U3-Bereich eine Versorgungsquote von 40 Prozent an. Mittlerweile liege die Quote, nicht zuletzt durch den massiven Zuzug von Flüchtlingen, bei 28 Prozent, berichtet Bürgermeister Zwick. Ein normaler Kita-Alltag sei kaum noch möglich, die deutschen Kinder seien in vielen Einrichtungen in der Minderzahl.

"Multikulturelles Miteinander"

In der Luther-Kindertagesstätte können sie davon ein Lied singen. Kroiß und ihre Kollegen arbeiten deshalb viel mit Bilderbüchern und Fotos, etwa beim Speiseplan, aber auch bei Elterngesprächen. Die Kinder kommen laut Kroiß aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Moldawien, Aserbaidschan, Türkei, Italien, Marokko und Ägypten. Sie heißen Mohammed, Amir, Zafira, Marva – aber auch Katharina oder Leon. Die Kita-Chefin spricht von einem „multikulturellen Miteinander“. Dennoch: Die Erzieher reden mit ihren Zöglingen ausschließlich Deutsch.

Vorbehalte deutscher Eltern

Wolfdietrich Rasp ist Pfarrer der Luther-Kirche. Er berichtet von Vorbehalten deutscher Eltern. Der Luther-Kita würde fälschlicherweise das Stigma anhaften, keine Kita für Bürgerliche, sondern für Migranten zu sein. Manche Eltern würden daher ihre Kinder lieber in Einrichtungen in den Vororten unterbringen – wo es weniger Ausländer als in der Pirmasenser Innenstadt gebe. Die Hälfte der Kinder in der Luther-Kita sei muslimisch, gerade einmal zehn seien christlich getauft und nur etwa ein halbes Dutzend komme aus der sogenannten Mittelschicht, berichtet Rasp. Bürgermeister Zwick kennt die Nöte der Einrichtungen. Er hält eine Wohnsitzauflage für das ganze Land für sinnvoll. Seine Minimalforderung vor dem morgigen Gespräch? „Eine Zuzugssperre für Pirmasens. Sonst eskaliert hier die Situation.“

Daniela Kroiß und Pfarrer Wolfdietrich Rasp.
Daniela Kroiß und Pfarrer Wolfdietrich Rasp.
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