Klassik-Mediathek Moderne Kammermusik: „’Round Midnight“

Bemerkenswertes Wert.
Bemerkenswertes Wert.

Beklemmung, Dekonstruktion und Erlösung löst das Quatuor Ébène mit seinen Interpretationen von Schönberg und Dutilleux aus.

Drei Nachtmusiken aus Moderne und Nachmoderne vereint dieses Konzeptalbum des französischen Quatuor Ébène. Arnold Schönbergs 1899 komponiertes Streichsextett „Verklärte Nacht“ und Henri Duttileux’ 1976 vollendetes Streichquartett „Ainsi la nuit“ bilden die Eckpole. Ein Werk von Raphaël Merlin, dem 1982 geborenen Cellisten des Quartetts, dient als „Brücke“ zwischen den beiden älteren Stücken; es heißt entsprechend „Night Bridge“. Zunächst zu Duttileux’ nächtlichen Visionen: ein irrlichternder Kosmos, durch den sich das Quatuor Ébène gekonnt bewegt. Sinnliche sirrende, aber auch fahle Flageoletttöne prallen auf aggressive Zupfsalven. Tonal in der Schwebe bleibende Spaltklänge, die sich nur vage und ansatzweise zu einer dunkelzarten Melodie formen, sorgen für Beklemmung.

Dann Merlins „Night Bridge“: Stilistisch setzt das Werk bei Dutilleux an, variiert, transformiert und zerlegt dabei aber gleichzeitig vier Jazzstandards mit nächtlichen Themen – von „Moon River“ bis zum titelgebenden, 1944 von Thelonious Monk komponierten „’Round Midnight“.

Um sehr viel mehr als um tageszeitliche Stimmungen geht es indes bei Schönberg. Sein Streichsextett „Verklärte Nacht“ basiert auf einem Gedicht Richard Dehmels, das ein erotisches Drama berichtet: Eine Frau gesteht ihrem Partner, dass sie von einem anderen Mann schwanger ist. Der Betrogene lässt sie dennoch nicht fallen, will sich auch um das Kind kümmern – eine sexuelle Utopie aus dem späten 19. Jahrhundert. Schönberg hat Dehmels Gedicht ins rein Instrumentale abstrahiert, wobei das dialogische Moment immer noch greifbar bleibt. Zusammen mit dem Bratscher Antoine Tamestit und dem Cellisten Nicolas Altstaedt verknüpft das Quatuor Ébène in intensivem Spiel düster schwelende Atmosphäre mit expressiver Klangrede. Bis hin zur erlösenden Apotheose mit ihren lichten, aufsteigenden Klängen.

„’Round Midnight“: Dutilleux, Merlin und Schönberg – Quatuor Ébène, Antone Tamestit (Viola), Nicolas Altstaedt (Violoncello); Warner Classics/Erato, VÖ: 10/2021

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