Literatur Winkelgast mit aufrechtem Gang: Zum Tod von Johannes Kühn

Eine große leise Stimme: Johannes Kühn in der Nähe seines Heimatorts Hasborn im Jahr 1995.
Eine große leise Stimme: Johannes Kühn in der Nähe seines Heimatorts Hasborn im Jahr 1995.

Der renommierte saarländische Lyriker Johannes Kühn ist mit 89 Jahren gestorben. Sein Werk, das vielfach übersetzt worden ist, erzählte von Einsamkeit und Trost in der Natur.

„Ich, der ich nicht wie mein Vater Berghauer bin, nicht die Arbeit des Tags mit ihren Schultern trage im Dorf, bin von ihnen ins Unrecht gesetzt, und die Betrunkenen im Gasthaus lallen es laut und speien den Vorwurf: Was, Verse? Doch Verse schrieben auch die Psalmisten und pflanzten kein Korn. Hab Mitleid.“ In diesem frühen „Gasthausgedicht“ spricht der Lyriker Johannes Kühn seine Lebenserfahrung im saarländischen Heimatdorf aus: Wer nicht handfest arbeitet, sondern Gedichte verfasst, ist dem Spott ausgeliefert.

Am 3. Februar 1934 in Bergweiler geboren und im Tholeyer Ortsteil Hasborn mit acht Geschwistern aufgewachsen, bleibt schon dem Jugendlichen nur die Flucht in die Literatur. Die Gedichte Hölderlins, Trakls und Mörikes werden ihm zum Lebensmittel.

„Sage ja zu deiner Ödnis“

Die Erfahrung des Ausgeschlossenseins bleibt auch, als er das Internat der Steyler Missionare in St. Wendel besucht. Religiöse Riten und Weltdeutungen sind ihm einerseits Heimat, andererseits treiben eine weltfremde Theologie und die Einhaltung äußerer Vorgaben Kühn in die Einsamkeit. Krank an Leib und Seele kehrt er ins Heimatdorf zurück und verdient sich seinen Lebensunterhalt in der Baufirma des Bruders: „Sage ja zu deiner Ödnis, kaure in dir selbst, ein Elendsbündel, übersteht die Woche.“

Höhepunkte inmitten dieser Tristesse sind die Besuche der Schauspielschule. Irmgard und Benno Rech, lebenslange Freunde und auch Herausgeber fast aller seiner Schriften, nehmen ihn mit in Vorlesungen. Jetzt sprudeln die Gedichte nur so aus ihm heraus, es werden über 20 000. Sammlungen entstehen: „Stimmen der Stille“ (1970), „Salzgeschmack“ (1984), „Ich, Winkelgast“ (1989), „Mit Raben am Tisch“ (2000), „Nie verließ ich den Hügelring“ (2002) oder „Ganz ungetröstet bin ich nicht“ (2007). Mundartgedichte sind versammelt in „Em Guguck lauschdre“ (1999).

„Luzifer“ bei der Expo

Bekannte Autoren wie Ludwig Harig und Peter Handke werben für sein Werk. Es folgen englische, französische, italienische und sogar japanische Übersetzungen. Theo Brandmüller vertont sein Poem „Luzifer“, das bei der Expo 2000 in Hannover im Deutschen Pavillon aufgeführt wird. Anerkennung erfährt Kühn durch zahlreiche Auszeichnungen wie den Kunstpreis des Saarlandes (1988) und den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg. Doch auch jetzt folgen auf große Produktivität Phasen des Schweigens.

Die Themen bleiben: Der einsame Mensch findet in der Natur mehr Aufmerksamkeit als bei seinen Mitmenschen: „Zu wenig Märchen sind erfunden, Nachtigall, für dich.“ „Die Schnabelhiebe der Frühlingsfinken auch habens versucht. Den Auferstehungston, wo find ich ihn?“. Traditionell religiöse Lebensdeutung verweist eher auf die Kindheit als dass sie Hoffnung gibt: „Zum Knien in einer braunen Bank geh ich nicht mehr“, „aufrecht stehend“ erfährt er Zuspruch in Natur und Dichtung.

Der Poet ist Realist: „Die Schaufeln, um meine Ruhestätte einmal einzuebnen, sind lange geschmiedet.“ Am 3. Oktober verstummte diese große leise Stimme.

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