Interview Klaus Scherer: Mehr Strafbefehle bei Hasskommentaren im Netz

„Wir müssen raus aus der Schockstarre“, sagt Klaus Scherer.
»Wir müssen raus aus der Schockstarre«, sagt Klaus Scherer.

Es wird gedroht, gehetzt und beleidigt. Der Hass in den sozialen Netzwerken schlägt um sich, und nichts passiert. Gegen diesen Eindruck wehrt sich der Journalist und Buchautor Klaus Scherer.

Herr Scherer, in ihrem Buch „Kugel ins Hirn“ geht es um Lügen, Hass und Hetze im Netz. Sie schreiben, dass Sie eine ermutigende Perspektive anbieten wollen. Das müssen Sie mal erklären.
Wir müssen raus aus der Schockstarre, in der ich ja auch selber war und gelegentlich immer noch bin. Wir haben jetzt wieder Ergebnisse einer Recherchegruppe, dass Desinformationen, die im Netz professionell und industriell erstellt werden, sich in Chatgruppen hochschaukeln. Man hat dann oft das Gefühl, dass die Netzwerke, selbst wenn sie wollten, dem nicht mehr Herr werden. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere Seite ist, dass uns die Routine fehlt und damit die Gelassenheit. Strafverfolger sind gewohnt, dass es Straftaten gibt, und ermitteln sehr wohl erfolgreich gegen strafbare Posts. Von dieser Routine sollten wir lernen. So wie im Straßenverkehr. Da gibt es auch Raser, die sich nicht an Regeln halten, und wenn einer erwischt wird, dann arbeitet der Rechtsstaat das ab. Das weiß jeder, der schon mal einen Strafzettel bekommen hat. Im Netz ist auch nur eine Minderheit laut und rüpelhaft. Aber wir nehmen sie dort als übergroß wahr, eben weil wir keine Routine haben.

Unsere Erfahrungen als Medienhaus sind oft andere. Anzeigen gegen Hetzer werden eingestellt, und es passiert nichts. Hat sich das wirklich verändert?
Ich kenne diese Stimmen und kenne auch Staatsanwälte, die mir schon mal selbst schilderten, dass die Polizei unzureichend ermittelt hat. Trotzdem gibt es Erfolge.

Kann es sein, dass viele Beamten keine Ahnung haben, was sie tun müssen?
Da kommt vieles zusammen. Die erste Antwort ist immer, dass es zu wenig Personal gibt. Die Anzeigen händisch und nicht automatisiert abzuarbeiten, ist natürlich aufwendig. Gleichzeitig beobachte ich in dem Buch auch Fälle, wo sich Fahndung und Rechtsprechung verändert haben. Es gibt ein bahnbrechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Falle der Politikerin Renate Künast, das besagt, dass die bisherige Rechtsprechung falsche Maßstäbe gesetzt hat. Da ging es darum, ob Facebook die Identitäten preisgeben muss, wenn Menschen im Netz drohen und beleidigen.

Auch der Konjunktiv „man müsste mal“ schützt keine Täter mehr, weil es ja nicht ernst gemeint gewesen sei. Es geht heute eher darum, ab wann sich ein Dritter zu einer Tat aufgefordert fühlen kann. Vor allem der Mord an Walter Lübke war eine Wegmarke, dass die Strafverfolgung im Netz aktiver wurde. Es gibt also auch die ermutigende Perspektive, dass sich etwas tut, sowohl bei den Strafverfolgern als auch in der Richterschaft.

Haben Sie selbst einen Facebook-Account?
Ich habe zwei Facebook- und einen Instagram-Account. Mit dem Buch habe ich das erste Mal selbst heftiger erlebt, wie Trolle aktiv wurden. Da hilft meist nur löschen und blockieren. Mit manchen kann man reden, mit anderen nicht. Der Übergang ist fließend. Ich gehe aber selten in den digitalen Nahkampf.

Kommt Ihr Buch nicht von der komplett falschen Seite? Müsste man sich nicht mit der Verantwortlichkeit von Facebook & Co beschäftigen? Sie müssten doch dafür sorgen, dass solche Kommentare erst gar nicht erscheinen. Führen wir die falsche Diskussion?
Wir müssen jede Diskussion führen. Mir ging es um einen Blickwinkel, den bisher kaum einer eingenommen hat. Die Strafverfolgung zu beschreiben, alltagsnah und mitten in Deutschland. Das ist insofern auch ein Reise- und Reportagebuch.

Sie haben Täter besucht, die Hasskommentare ins Netz gestellt haben. Was sind das für Menschen?
Das reicht von sehr klugen und berechnenden Strategen, die solche Dinge auf den Weg bringen, um andere zu schädigen, bis hin zu gedankenlosen, naiven Mitläufern, bei denen auch Strafverfolger oder Richter unter der Hand mal erkennen ließen, dass das nicht die hellsten Kerzen am Baum sind. Da sind aber auch unauffällige Menschen, bei denen man sich fragt, was die dazu treibt, nachts Mordaufrufe zu starten. Wenn ich mit denen am Gartenzaun redete, waren das nette Leute, die waren mir nicht mal unsympathisch. Wenn sie ihren Strafbefehl kriegten, wurde zwar nicht jeder Saulus zum Paulus, aber es wird ihnen einfach zu teuer, wenn sie schon wieder 1000 Euro zahlen müssen. Da bin ich wieder beim Straßenverkehr. Und bei denen, die nur deshalb nicht mehr rasen, weil sie die Strafen fürchten. Damit erreicht die Strafe ja auch ihr Ziel. Sicher, die Strafverfolger bekommen auch im Netz eher die Naiven als die Gerissenen, aber das gilt ja bei der Strafverfolgung in anderen Bereichen auch.

Ist die Chance, dass man mit Hasskommentaren ohne Strafverfolgung durchkommt, nicht zu groß?
Die Strafen müssen bekannt werden, um präventiv zu wirken. Das war auch der Grund, warum mir die Justiz so gute Zugänge ermöglicht hat. Und die Urteile werden auch schärfer. Die Netzkommentare nach dem Mord an zwei Polizeikräften in Kusel, in denen viele das noch bejubelten, wurden teils mit Haft ohne Bewährung geahndet. Den Generalstaatsanwalt hatte ich zwei Jahre zuvor kennengelernt, da scheute er sich noch, in Prozesse zu gehen, die er nicht sicher gewinnt, damit Nazis nicht noch als Sieger das Gericht verlassen. Heute bringen seine Ermittler sogar jeden „Like“ unter solchen Hetzkommentaren zur Anklage. Das spricht sich auch in der Szene herum.

Sie haben eine Dokumentation gedreht und das Buch geschrieben. War beides geplant?
Anlass war ein neues Gesetzespaket gegen Hass und Hetze, da wollten wir ein Jahr lang beobachten, ob das wirklich etwas verändert. Ich habe nach dem Film gesehen, dass viele offene Fälle weitergehen. Einer davon gab dem Buch seinen Titel. Da hatte ein User über einen Arzt und Landespolitiker, der sich für das Impfen ausgesprochen hatte, geschrieben, „dem eine Kugel ins Hirn, vielleicht hilft es ja“. Der wurde anfangs noch zwei Mal freigesprochen, am Amtsgericht Bersenbrück in Niedersachsen. Das Gericht sagte, er habe es nicht so gemeint, er habe den Politiker nach eigener Aussage eher „wachrütteln“ wollen. Das ging dann in die nächste Instanz ans Landgericht Osnabrück. Der Richter dort sagte nur, „mit einer Kugel im Hirn bin ich nicht wach, sondern tot“. Dessen Urteil hatte dann Bestand. Die Wirklichkeit hat sich also auch in der Justiz geändert. Ich finde das sehr ermutigend.

 

Termin

Die Stadtbibliothek in Ludwigshafen, Bismarckstraße 44-48, lädt für Freitag, 24. März, 19.30 Uhr, zu einer Lesung mit Klaus Scherer ein. Anmeldung erwünscht unter Telefon 0621 504-2605 oder per E-Mail an stadtbibliothek@ludwigshafen.de.

Lesezeichen

Klaus Scherer „Kugel ins Hirn“; Droemer HC, München; 240 Seiten; broschiert; 18 Euro.

Zur Person

Der Fernsehjournalist Klaus Scherer wurde unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Grimme-Preis und dem Hollywood Independent Documentary Award ausgezeichnet. Geboren 1961 in Pirmasens, hat er Soziologie, Geografie und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz studiert. Ab 1990 war er ARD-Inlandskorrespondent in Berlin und wechselte 1995 zum NDR-Politmagazin „Panaroma“ nach Hamburg. Von 1999 bis 2004 war der heute 61-Jährige ARD-Studioleiter in Tokio und ab 2007 USA-Korrespondent in Washington. 2012 kehrte er nach Hamburg zurück, arbeitet dort für den NDR und hat mehrere erfolgreiche Bücher geschrieben.

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