Kultur Kino aktuell: „In den Gängen“ feiert Alltagsglück

„In den Gängen“: Nachts sorgen Bruno (Peter Kurth, links) und Christian (Franz Rogowski) in der Getränkeabteilung des Großmarkts
»In den Gängen«: Nachts sorgen Bruno (Peter Kurth, links) und Christian (Franz Rogowski) in der Getränkeabteilung des Großmarkts für Ordnung und volle Regale.

Kinofilme entführen oft in abenteuerliche, fremde Welten oder Ausnahmesituationen. Und wenn es mal um Alltägliches geht, landet der Zuschauer oft in einem bedrückenden Sozialdrama. „In den Gängen“ ist daher ein kleines Wunder: Thomas Stubers Film erzählt zwar „nur“ eine Liebesgeschichte in einem Supermarkt. Doch steckt der zarte Film voller Magie und Fantasie – und lässt selbst eine Tiefkühlabteilung zum kleinen Paradies werden.

Die Gänge des Großmarkts sind noch verlassen, das Licht ist diffus, dann heben die feierlichen Klänge des berühmten Donauwalzers an. Ein Gabelstapler fährt ins Bild, bald quert ein zweiter: Sie tanzen scheinbar beschwingt durch die hohen Regalen. Mit dieser wunderbaren Szene beginnt Thomas Stubers warmherziger Film „In den Gängen“, der auf der gleichnamigen 25-Seiten-Erzählung Clemens Meyers aus seinem Band „Die Nacht der Lichter“ basiert. Stuber porträtiert feinfühlig drei Warenlogistiker dieses Großmarkts auf einer ostdeutschen Wiese: Bruno (Peter Kurth), schon im Vorgängerbetrieb „VEB Fernverkehr“ dabei und zuständig für die Getränkeregale, leitet Neuling Christian (Franz Rogowski) an: Dieser ist ein sehr wortkarger junger Mann, der ein wenig geduckt und sichtbar vereinsamt durchs Leben geht. Bis er Marion von der Süßwaren-Abteilung (Sandra Hüller) begegnet und sich ganz leise in sie verliebt. Doch dann erfährt er, dass die scheinbar so fröhliche und humorvolle Frau verheiratet ist und ihr Mann „nicht gut zu ihr“ ist. Regisseur Thomas Stuber hat mit Peter Kurth und ebenfalls nach Clemens Meyer bereits „Herbert“ gedreht, das wunderbar sensible Porträt eines schwer kranken Ex-Boxers. Für „In den Gängen“ schafft der an der Filmakademie Baden-Württemberg ausgebildete Leipziger Regisseur wieder eine ganz eigene Atmosphäre. Er nimmt sich Zeit, um dem Zuschauer diese Großmarktwelt nahezubringen – und erzählt vor allem von Würde und Wertschätzung. Eine kleine Utopie ist diese Feier der Arbeit als sinnstiftenden Raum der Geborgenheit durchaus. Dass die Zuschauer Selbstverständlichkeiten im Umgang miteinander als etwas Besonderes wahrnehmen, zeigt aber, wie fern der Gedanke doch erscheint, dass ein Supermarktmitarbeiter seine Tätigkeit nicht nur als Job versteht. „Willkommen in der Nacht“, begrüßt der Marktleiter hier sein Personal allabendlich munter und fürsorglich und legt eine Bach-CD ein, am Morgen gibt es einen Handschlag zum Abschied: eine in sich ruhende Gemeinschaft, die mit- statt gegeneinander arbeitet. Bruno nimmt den etwas ungelenken Christian behutsam unter seine Fittiche, damit beim Kistenstapeln kein Unglück passiert. Die Regie zeigt bewusst einzelne Arbeitsschritte, und so entfaltet sich tatsächlich Spannung: Das Publikum fiebert regelrecht mit, wenn Christian schließlich für die Gabelstaplerführerprüfung gefüllte Kisten hoch oben versetzen muss. Da hat er schon die versierte Marion getroffen, die ihn amüsiert „Frischling“ nennt. Die beiden nähern sich am altersschwachen Kaffeeautomaten vor einer schäbigschönen Palmen-Fototapete an. Oder in „Sibirien“, der Tiefkühlabteilung: Hoch romantisiert und dennoch glaubwürdig ist Stubers Porträt einer Gemeinschaft, in der Werte wie Freundschaft und Zusammenhalt gelten, auch wenn man einander bisweilen auch foppt und keine große Reden schwingt. Miteinander zu arbeiten und diese Arbeit auch mit Sorgfalt und Freude ausführen zu wollen, verbindet bereits genug. Christian möchte zudem eine dunklere Vergangenheit überwinden, wird aus seinem oft wehmütigem Blick klar. Auch die Tätowierungen, die ihm aus dem Ärmel und in den Nacken kriechen, markieren ihn als Outlaw. Doch wenn er mit dem Gestus eines Cowboys, der in die Stadt reitet, um seine Maid zu befreien, den Arbeitskittel anzieht, den Kragen aufstellt und das Teppichmesser entschlossen in die Tasche steckt, ist er ein neuer Mensch. Vor allem dank Marion hat er Halt gefunden. Doch dann fehlt sie plötzlich. Christian forscht nach, will sie womöglich aus ihrer Ehe (Clemens Meyer spielt, nicht ganz passend in einem Neureichen-Wohntraum-Ambiente, ihren Mann) erretten. Doch ist „In den Gängen“ trotz poetischer Überhöhung in der Realität verwurzelt, wo sich nicht alles immer zum Guten wendet. Franz Rogowski hat für dieses unaufdringliche Porträt eines Menschen, dessen Leben noch immer auf der Kippe steht, sehr zu Recht den diesjährigen Deutschen Filmpreis als bester Schauspieler bekommen. Der Film ist aber vor allem eine Liebeserklärung an die Menschen, die gut 30 Jahre nach der sogenannten Wende vor Ort geblieben sind. Und sich eingerichtet haben in einem Arbeitsalltag, der Struktur gibt. Manche Figuren stecken allerdings auch etwas fest, sind Überbleibsel einer vergangenen Welt. Nach Ibiza möchte Staplerfahrer Klaus zum Beispiel gar nicht. Und einer seiner Kollegen klagt, in einer für Clemens Meyer typischen, allzu großen Verehrung der Arbeiterklasse: „Mein Sohn ist verrückt geworden, der will studieren.“ „In den Gängen“ ist zugleich kein bierernster, stoischer Film. Stuber feiert auch die Komik des Settings, ohne seine Figuren auszustellen – es gibt also viel zu lachen. Und wer genau hinhört, merkt: Wenn ein Gabelstaplerarm wieder eingefahren wird, klingt das wie Wellenrauschen. Und so kann auch ein nüchterner Großmarkt zum Meer werden, und die Staplerfahrer(innen) sind Kapitäne auf den Wogen des Lebens.

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