Kultur Eine Afrikanerin in New York

Große Stimme, Lebensfreude pur und viele Anliegen: Somi mit Bassist Keith Witty.
Große Stimme, Lebensfreude pur und viele Anliegen: Somi mit Bassist Keith Witty.

Was ist das? Jazz? Soul? Afrogroove? Irgendwo dazwischen bewegt sich Somi, Jahrgang 1979, in den USA aufgewachsene Tochter afrikanischer Migranten. Ihre Songs verbinden Einflüsse aus Afrika und Amerika zu einer weltmusikalischen Melange mit kritischer Botschaft, und live ist die Sängerin mit der großartigen Stimme eine Wucht. In Heidelberg hat sie mit ihrer Band das Festival Enjoy Jazz eröffnet.

Das Original konnte man vor einer guten Woche in Mannheim hören. Sting hatte bei seinem Gastspiel natürlich seinen „Englishman in New York“ im Programm, den Song vom Teetrinker, der sich in der Stadt der Kaffeetrinker wie ein Außerirdischer fühlt. Somi hat Stings Superhit adaptiert und aus dem leichtfüßigen Popsong ein tiefgründiges Klagelied gemacht. Jetzt geht es nicht nur um ein paar kulturelle Unterschiede, die mit ein bisschen freundlicher Toleranz überbrückt werden können. Wenn ein „African in New York“ unterwegs ist, werden die Widersprüche unserer Welt spürbar, da muss man nicht bloß die Ignoranz der anderen aushalten, sondern manchmal auch ihren Hass und ihren Rassismus. So deutlich sagt es Somi nicht, aber es sind die Konnotationen, die ihre auch im Text veränderte Version des Songs nahelegt. Man darf sich bei dieser Sängerin, die Afrikanistik und Anthropologie studiert hat und mit einer Non-Profit-Organisation junge afrikanische Künstler unterstützt, also nicht täuschen lassen von der Eingängigkeit der Melodien und dem sommerwarmen Groove, den sie ihrem kunstvollen Jazzgesang gern unterlegt. Nicht umsonst hat sie sich mit Nina Simone und Miriam Makeba recht kämpferische Vorbilder ausgesucht. Der Auftritt Somis zum Auftakt des sechswöchigen Konzertreigens von Enjoy Jazz war also auch ein Statement. „Es geht um die Kunst, es geht aber auch um die Freiheit“, hatte Festivalleiter Rainer Kern zu Beginn des Abends festgestellt und daran erinnert, dass Anhänger der libanesischen Band Mashrou’ Leila, die vor einem Jahr das Festival eröffnet hatte und sich in ihren Songs für den arabischen Frühling einsetzt, gerade in Ägypten vor Gericht stehen. Die Fans hatten bei einem Konzert in Kairo die Regenbogenfahne als Symbol der Toleranz geschwenkt, die Band hatte dafür ein Auftrittsverbot kassiert. Bei Somi werden keine Fahnen geschwenkt und ihre Lieder sind keine Protestsongs, aber sie erzählen von häuslicher Gewalt gegen Frauen, von der Ausbeutung schwarzer Schönheitsideale oder von Armut und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit in Nigeria. Erlebt man live die Energie dieser Sängerin, kann kein Zweifel bestehen, wie ihre Botschaft zu verstehen ist. Ihre unglaublich variable Stimme reicht von kehliger Tiefe bis in samtige Höhen und vermag die ganze Ausdrucksskala von enttäuschter Klage bis zu kämpferischer Entschlossenheit abzudecken. Nicht zu vergessen die Lebensfreude, die sich immer wieder Bahn bricht. Die geschilderte Buntheit afrikanischen Lebens hat sie nicht nur bei einem längeren Aufenthalt in Lagos eingefangen, wo ihr vorletztes Album entstanden ist, sondern auch in der 116. Straße im New Yorker Stadtteil Harlem, wo sie seit einigen Jahren lebt. „Petite Afrique“ wird das Migrantenviertel genannt, und so heißt auch Somis aktuelle Platte. Zwischen den geschmeidigen Poparrangements der Studioaufnahmen und der ungezügelten Power des Liveauftritts liegen bei Somi allerdings Welten. Dazu trug in der Heidelberger Stadthalle auch ihre exzellente Band bei, eine wie die Musik multikulturell zusammengefügte Truppe. Pianist Toru Dodo kommt aus Japan und ist nach klassischer Ausbildung beim Jazz und in New York gelandet. Herve Sambe stammt aus dem Senegal, hat schon in Bands von Lisa Simone und David Murray gespielt und ist ein weltmusikalisch inspirierter Klangzauberer, der nicht bloß Hochgeschwindigkeitssoli über das Griffbrett seiner akustischen Gitarre rasen lässt, sondern diese auch perkussiv wie eine Kora klingen lässt, eine afrikanische Harfenlaute. Ein waschechter New Yorker ist Bassist Keith Witty, der besonders bei ruhigen Balladen Somis einfühlsamer Begleiter ist. Schlagzeuger Otis Brown ist in New Jersey heimisch und ein gefragter Sideman bei Jazzgrößen wie Joe Lovano, Terence Blanchard oder Esperanza Spalding. Diesmal war er nur der zurückhaltende Begleiter und überließ das Feld der Bandleaderin mit der großen Stimme. Termine Festival Enjoy Jazz bis 11. November in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg. Programm und Karten im Netz www.enjoyjazz.de

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