Kultur Ein unbequemer Mahner zwischen allen Stühlen

Die Bronzebüste des Philosophen Karl Jaspers in einer Parkanlage in Oldenburg. Seit 25 Jahren erinnert sie an den großen Sohn de
Die Bronzebüste des Philosophen Karl Jaspers in einer Parkanlage in Oldenburg. Seit 25 Jahren erinnert sie an den großen Sohn der Stadt.

Karl Jaspers war ein unbequemer Warner vor einer Entartung der Demokratie. Mit seinem kompromisslos antitotalitären Denken und seiner toleranten Haltung kann er angesichts eines heute wieder erstarkenden Antisemitismus und Rassismus als Vorbild dienen. In Deutschland ist der 1883 in Oldenburg geborene und heute vor 50 Jahren in Basel gestorbene weltberühmte Philosoph längst nicht so bekannt und geehrt, wie er es verdient hätte.

Karl Jaspers’ sogenannte Existenzphilosophie hatte eine harte Bewährungsprobe zu bestehen. Wie manche Philosophen der Antike, die unter einem Gewaltherrscher die Übereinstimmung ihrer Lehre mit ihrem Handeln, den Einklang von Wort und Tat im Angesicht des Todes unter Beweis stellen mussten, hat Jaspers seine Philosophie in der Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft durch sein Leben beglaubigt. Mit einer Jüdin verheiratet, weigerte er sich, seine geliebte Frau Gertrud zu verstoßen. Nach der Machtübernahme wurde der damals schon weltberühmte Professor und Verfasser des in viele Sprachen übersetzten Lehrbuchs „Allgemeine Psychopathologie“ 1933 aller Ämter an der Heidelberger Universität enthoben. 1937 wurde der 54-Jährige zwangspensioniert, ein Jahr später inoffiziell mit einem Publikationsverbot belegt. Als ihn die Universität Basel für das Wintersemester 1941/42 einlud, eine Gastdozentur zu übernehmen, wurde seiner Frau die Ausreise verboten. Daraufhin lehnte Jaspers das großzügige Angebot aus der Schweiz ab. 1943 verbot die Reichsschrifttumskammer alle seine Bücher. Die Kriegsjahre verbrachte Jaspers mit seiner Frau isoliert in der Wohnung in Heidelberg. Je näher das Kriegsende rückte, desto größer wurde die Lebensgefahr. Der Abtransport des Ehepaars in ein Konzentrationslager war bereits auf den 14. April 1945 festgesetzt, als die Amerikaner am 1. April Heidelberg besetzten. Jaspers hat aus seinen Erfahrungen während der Nazidiktatur Konsequenzen gezogen. Nach dem Krieg begann er zusätzlich zur Abfassung philosophischer Schriften mit einem politischen publizistischen Engagement. Gleich 1946 veröffentlichte er das Buch „Die Schuldfrage“. Darin verneinte er zwar eine Kollektivschuld aller Deutschen an den Naziverbrechen, forderte aber eine radikale moralische und politische Umkehr des deutschen Volkes insgesamt und jedes einzelnen, der in die Untaten verstrickt war. Die nüchtern abwägende Schrift ging unmittelbar nach dem Krieg „im dichten Nebel der larmoyanten Selbstentschuldigungen und Selbstbeschuldigungen“ unter, wie der Historiker Reinhart Koselleck später feststellte. Unzufrieden mit der Entwicklung nach dem Krieg, nahm der Philosoph 1947 einen Ruf an die Universität Basel an. Schon 1931 hatte Jaspers zwar mit dem Buch „Die geistige Situation der Zeit“ Stellung zur politischen Entwicklung der Weimarer Republik genommen, damals aber die drohende Katastrophe nicht im Entferntesten vorausgesehen. Nach dem Krieg nun griff der verspätete „Emigrant“ von seinem Schweizer Beobachtungsposten aus in die politische Entwicklung der jungen Bundesrepublik ein. In „Wohin treibt die Bundesrepublik“ kritisierte der unbequeme Kommentator 1966 die halbherzige Entnazifizierungspolitik Adenauers und die Wahl Kurt Georg Kiesingers, eines ehemaligen NSDAP-Mitglieds, zum Bundeskanzler. Indem Jaspers für eine Anerkennung des Status quo und der Nachkriegsordnung durch die Bundesrepublik eintrat, bereitete er die Aussöhnungspolitik Willy Brandts mit den Ländern des Ostblocks vor. Er sprach sich entschieden gegen den Beschluss einer Verjährung von NS-Verbrechen aus, warnte vor der Entwicklung zu einem autoritären Staat durch die Notstandsgesetzgebung und vor einer Parteienoligarchie. In diese Richtung weist auch die heute mehr noch als damals beherzigenswerte Schelte, die er 1958 in seiner Rede bei der Entgegennahme des Friedenspreises des deutschen Buchhandels vortrug. „Die Idee der Demokratie“, warnte er schon damals, „droht verloren zu gehen in einer formal werdenden Demokratie, die zu einem Mittel von Manipulationen von Politikern und Wirtschaftsinteressen entartet.“ In dem – leider immer noch oder wieder – sehr lesenswerten Buch „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“ schließlich warnte Jaspers vor der Selbstauslöschung der Menschheit, zu der inzwischen noch die drohende Klimakatastrophe gekommen ist. Eine weitere Sorge des Philosophen galt der Gefahr eines totalitären Herrschaftssystems, wie sie damals von der Sowjetunion ausging, inzwischen aber mit den technisch immer raffinierteren Manipulations- und Überwachungsmethoden auch die westlichen Demokratien von innen bedroht. Mit seiner Philosophie und seinen politischen Eingriffen setzte Jaspers sich zwischen alle Stühle. Von Rationalisten wurde er als Mystiker abgetan, von Theologen als ungläubiger Vernünftler. Die Linke in der Bundesrepublik warf ihm blinden Antikommunismus vor, die Konservativen taten seine Warnungen vor einer Parteiendiktatur als Hirngespinste eines weltfremden Philosophen ab, der noch dazu nicht einmal in Deutschland lebe. Jaspers’ Integrität und dem Eindruck, dass er ein früher Mahner und Warner gewesen ist, haben solche Anfeindungen keinen Abbruch tun können.

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