Kultur Die Selbstverteidigung: Woody Allen hat seine Memoiren geschrieben

Sieht sich schwerer Vorwürfe ausgesetzt: Woddy Allen.
Sieht sich schwerer Vorwürfe ausgesetzt: Woddy Allen.

Wohl nie zuvor erschienen vor der Veröffentlichung der Memoiren eines Prominenten derart viele Proteste wie bei denen des New Yorker Filmkünstlers Woody Allen. Der Grund: Seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es den Vorwurf, er habe 1992 Dylan Farrow, seine zu der Zeit siebenjährige Adoptivtochter, sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Bis heute gibt es keine Beweise und kein Richterurteil, ob das stimmt oder nicht.

Die Proteste gegen das Erscheinen des Buches führten in den USA dazu, dass sich der Verlag Hachette, der die Lebenserinnerungen des jetzt 84-jährigen Autors, Regisseurs, Schauspielers, Komikers und Musikers ursprünglich veröffentlichen wollte, zurückzog. In Deutschland gab es von 15 dort verlegten Autorinnen und Autoren die Forderung an den Rowohlt-Verlag, Hachette zu folgen. Rowohlt konterte, man wolle interessierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit geben, sich eine eigene Meinung zu bilden. Etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung im New Yorker Verlag Arcade Publishing ist jüngst die deutsche Übersetzung erschienen. Es ist festzuhalten: Eine mehr als ein Gefühl widerspiegelnde Meinung zu dem Ungeheuerlichen, das Woody Allen vorgeworfen wird, und zur Frage, was hier Wahrheit und was Lüge ist, kann sich auf Grund der Lektüre niemand bilden. Man folgt als offen denkender Mensch, der gerade dies, Offenheit im Denken, für ein hohes Gut der demokratischen Gesellschaften hält, denn doch lieber dem Argument, mit dem sich die Arcade-Mitbegründerin Jeannette Seaver für die Veröffentlichung ausgesprochen hat: „In dieser komischen Zeit, wo die Wahrheit zu oft als Fake News abgetan wird, ziehen wir als Verleger es vor, einem respektierten Künstler eine Stimme zu geben, als vor denen, die ihm zum Schweigen bringen wollen, in die Knie zu gehen.“

Glück beim Publikum

Das Buch, hierzulande nun unter dem Titel „Ganz nebenbei“ zu haben, ist vor allem eins: die Beteuerung Woody Allens, kein herausragender Künstler zu sein, sondern lediglich viel Glück bei Publikum und Kritik gehabt zu haben. Dabei betont er in sympathischer Weise, dass Filmemachen in jeder Hinsicht ein kollektiver Prozess ist, er dabei viel von anderen gelernt habe. Entsprechend seiner Aussage, er habe Filmstudenten nichts zu geben, ergeht er sich nicht in Analysen seiner Arbeitsweise und seiner Filme, zu denen Welterfolge wie „Der Stadtneurotiker“, „Hannah und ihre Schwestern“, „Vicky Christina Barcelona“, „Midnight in Paris“ und „Blue Jasmine“ gehören. Stattdessen plaudert er voller Selbstironie und mit vielen Pointen über künstlerische Bekanntschaften, persönliche Beziehungen, seine Familie und sich selbst, vor allem seine vielen Phobien, Marotten und Ticks. Man schmunzelt oft beim Lesen. Doch man hält auch erschrocken inne. Denn bar jeglicher Sentimentalität, und oft, ohne das direkt anzusprechen, macht Allen klar, welchen Einfluss das Grauen des Holocaust auf ihn, den 1935 in New York geborenen Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie, auf sein Denken und Fühlen, hatte und hat. Als brillanter Erzähler erreicht er hier, gerade wegen zahlreicher witziger Bonmots, oft eine beklemmende Schärfe.

Eine schmutzige Schlammschlacht

Witze und Bonmots bleiben weitestgehend aus, wenn Woody Allen nach mehr als 200 der insgesamt fast 440 Seiten Stellung zu den Vorwürfen bezieht. Ein sachlicher Ton dominiert. Er zitiert aus Gutachten über jeden Zweifel erhabener Institutionen, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Anschuldigungen haltlos seien. Er beschreibt einen Lügendetektortest, den er bestanden hat. Er schreibt über den Sorgerechtsstreit, den er mit Mia Farrow, seiner langjährigen Partnerin und Hauptdarsteller einiger Hits, wie „The Purple Rose of Cairo“, geführt und verloren hat. Er beteuert seine Unschuld. Leider, das macht die Lektüre dann streckenweise schwer, kippt er aber auch jede Menge Müll über Mia Farrow aus, erhebt Anschuldigungen und gibt Gerüchte weiter, deren Wahrheitsgehalt man als Leser nicht prüfen kann. Da wird’s derart schmuddelig, dass man sich mit Grausen abwendet. Was einem bleibt, ist Ratlosigkeit. Gegen Woody Allens Schilderungen steht weiterhin der von Dylan Farrow 2014 öffentlich bekräftigte Vorwurf, den ihr Bruder Ronan bestätigt hat, ihr Bruder Moses hingegen abstreitet. Man kann sich als Außenstehender kein Urteil bilden. Im Sinn bleibt einem allerdings folgender Satz: „Wohlmeinende Bürger, randvoll mit moralischer Entrüstung, bezogen nur zu gern zu einer Angelegenheit Stellung, von der sie absolut keine Ahnung hatten.“ Soll, was dringend zu wünschen ist, die #MeToo-Debatte nachhaltige Folgen haben, wäre es gut, wenn dieser Satz dazu beitragen könnte, sich mit jedem einzelnen Fall, jeder Anklage und jeder Verteidigung, differenziert auseinanderzusetzen. Und auch wenn Woody Allen selbst dazu nicht durchgängig in der Lage ist, stößt das Buch dazu an. Damit ist es, bei allem Pro und Contra, das einen beim Lesen beschleicht, ein wichtiges Buch.

Lesezeichen

Woody Allen: „Ganz nebenbei“, Autobiografie; Rowohlt-Verlag 2020; 448 Seiten; 25 Euro.

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