Klassik Der bedeutende Bach-Interpret Helmuth Rilling wird 90 Jahren alt

Helmuth Rilling bei einem Gesprächskonzert beim Musik 2011 in Stuttgarts Stiftskirche.
Helmuth Rilling bei einem Gesprächskonzert beim Musik 2011 in Stuttgarts Stiftskirche.

Am 29. Mai feiert er seinen 90. Geburtstag: der Dirigent Helmuth Rilling. Er ist einer der bedeutenden Bach-Interpreten der Gegenwart und hat mit der 1981 gegründeten Internationalen Bachakademie Stuttgart ein weltweit bedeutendes Institut zur musikalischen und wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Werk von Johann Sebastian Bach ins Leben gerufen. Doch sein Wirken reicht weiter.

Zum Bach-Jahr 2000 erschien als „Edition Bachakademie“ eine CD-Gesamtaufnahme aller Werke Bachs, bei der Helmuth Rilling dann bei allen Werken am Pult stand, die man dirigieren kann.

Der in Stuttgart geborene Musiker, der auch ausgebildeter Organist ist und in den 1960er-Jahren in New York bei Leonard Bernstein hospitierte, hat durchaus Verbindungen zur Pfalz. Er hat hier oft konzertiert, etwa im Speyerer Dom, in Ludwigshafen und mehrfach in Landau. Auch kamen einiger seiner Sänger der Gächinger Kantorei aus der Pfalz.

Geprägt vom schwäbischen Pietismus

Doch geprägt ist Rilling bei aller internationalen Ausstrahlung seines Wirkens, seiner Bachakademien in aller Welt, nicht zuletzt seiner Verbindungen zu Israel und dem Israel Philharmonic Orchestra von seiner schwäbischen Heimat und dem schwäbischen Pietismus. Dieses in einem offenen, unideologischen und positiven Sinn. Wer neben der Metropole Stuttgart auch Bad Urach, wo Rilling in jungen Jahren das Seminar besuchte, oder das malerische Dorf Gächingen auf der Schwäbischen Alb kennt – der Gründungsort des berühmten Chores –, der kann dort die geistig-theologische Welt erspüren, die beständig hinter Helmuth Rillings Künstlertum steht.

Dabei hat sich seine Interpretation gerade der Werke Bachs im Lauf der Zeit durchaus verändert. An die Stelle einer linearen Gesanglichkeit ist ein impulsiver und tänzerischer Zugang getreten, der trotz der konsequenten Verwendung moderner Instrumente dem Stil seiner Kollegen von der Originalklangbewegung nahe kommt, ja oft noch eine Spur lebendiger war.

Der geistige Gehalt hinter den Noten

Doch geblieben ist die Konzentration auf die Botschaft der Musik. Rilling ging es immer um die Vermittlung dessen, was an geistigem Gehalt hinter den Noten steckt. Nicht umsonst hat er das Format der Gesprächskonzerte kultiviert und nicht zuletzt Bachs große Vokalwerke und Kirchenkantaten in unzähligen Veranstaltungen dieser Art einem breiten Publikum in fundierter und doch verständlicher Weise erklärt.

Wer Rilling in diesen Gesprächskonzerten, aber auch in Proben und bei seinen Dirigierkursen erlebt hat, weiß, dass er von einer großen pädagogischen Emphase bestimmt ist und ohne Allüren immer darauf bedacht ist, sein Wissen und sein Musizierideal zu vermitteln und gerade auch mit jungen Menschen zu teilen. Menschen mit Musik zu bewegen, das gelang ihm immer wieder auch in seinen Konzerten, die immer wieder ein tief bewegendes Erlebnis waren.

Streit um die Nachfolge

Etwas unschön war leider vor rund zehn Jahren sein Abschied von der Leitung der Bachakademie in Stuttgart. Da gab es Kontroversen – etwa um den Zeitpunkt seines Ausscheidens und das Verfahren zur Wahl seines Nachfolgers als künstlerischer Leiter (das wurde Hans-Christoph Rademann). In einer immer sehr familiär anmutenden Institution zerbrachen plötzlich alte Freundschaften. Aber immerhin: Die Bachakademie lebt, auch wenn sie heute andere Akzente setzt.

Und Rilling hat ja seine Arbeit nicht nur in der eingangs erwähnten Bach-Edition umfangreich dokumentiert. Wir verdanken ihm auch zahlreiche neue Stücke, die er mit der Bachakademie in Auftrag gegeben hat – etwa Wolfgang Rihms Lukas-Passion „Deus Passus“ oder das 1995 uraufgeführte ambitionierte Requiem der Versöhnung von verschiedenen Komponistinnen und Komponisten, dazu Wiederentdeckungen (etwa die von Verdi initiierte Missa per Rossini, die bis 1988 ein Phantom in den Musikgeschichtsbüchern war) und Ergänzungen von Fragmenten wie Schuberts „Lazarus“ oder Mozarts c-Moll-Messe. Letztere schuf in kongenialer Weise Robert Levin, der schon 1991 in Rillings Auftrag eine überzeugende Neufassung des ja unvollendet gebliebenen Requiems von Mozart erstellt hat. Just diese wird am 2. Juli beim Musikfest der Deutschen Staatsphilharmonie in Speyer unter Michael Francis erklingen. Das ist dann indirekt ein verspäteter Geburtstagsgruß für Helmuth Rilling. Der Jubilar hat übrigens bei Beethovens Neunter und Mendelssohns „Elias“ auch selbst die Staatsphilharmonie geleitet.

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