Rheinpfalz Kaufhäuser: Die Faszination der Konsumtempel

Die zentrale Kuppelhalle der Kö-Galerie in Düsseldorf.
Die zentrale Kuppelhalle der Kö-Galerie in Düsseldorf.

Aus Karstadt und Kaufhof wird die Warenhaus AG. Denn die beiden ehemaligen Rivalen haben sich in dieser Woche auf eine Fusion geeinigt. Viele bezweifeln, dass die Kaufhauskultur am Ende gegen das Shopping im Internet bestehen kann. Was aber bleibt, ist die Erinnerung an die Faszination der früheren Konsumtempel, an die Kulleraugen der Kinder und das Paradies der Damen.

Kein Kaufhaus ohne Rolltreppe, diese futuristisch anmutenden fahrenden Stufen, die den Konsumenten in schwindelerregende Höhen befördern. Die Finger lässig auf den Handlauf gelegt, betritt man das bewegende Ding und hat genug Zeit, die vorbeiziehenden Auslagen zu prüfen. Mit dem Warenhaus hat sich der Konsum seine heiligen Hallen erschaffen. Sie bieten ein Raumerlebnis, das vorher Kirchen und Palästen, also Sakral- oder Repräsentationsbauten vorbehalten war. Waren gruppieren sich um sonnendurchflutete Lichthöfe und filigrane Pfeiler. Wenn Karstadt oder Kaufhof wanken, bringt das nicht nur Wirtschaftsjournalisten, sondern auch die Kulturpessimisten auf die Rolltreppe, die ins Basement der Zukunftsangst führt. In düsteren Farben malen sie das Bild sterbender Innenstädte, verlassen von vereinsamten Konsumenten, die sich auf den anonymen Marktplätzen des Internets tummeln. Das Netz bringt die Warenwelt nach Hause. Verloren geht das Gefühl, ein Teil von ihr zu sein. Doch Kaufhäuser können nicht mehr alles abdecken, was die Welt produziert.

Erinnerungen an die gute alte Kaufhof-Zeit

Weil postmoderne Shopper immer wieder enttäuscht durch die Hallen ziehen, werden Kaufhäuser dichtgemacht, zumal mancherorts der Bau aus den Fugen gerät. Im südpfälzischen Landau wartet ein Klotz aus dem Jahr 1964 auf die Abrissbirne, ob das Kaufhaus geschlossen wird, ist noch nicht klar. Architektonisch sei die frühere Wirtschaftswunder-Ikone aber nicht mehr sanierungsfähig, urteilten die neuen Investoren. Lokalredakteure baten ihre Leser um Geschichten aus der guten alten Kaufhof-Zeit, eine Flut von Zuschriften brach über sie herein: Erinnerungen an Karpfen im Aquarium hinter der Wursttheke im Untergeschoss, an die Cola samt Bockwurst für eine Mark, nach der Schule rasch verzehrt vor der Busfahrt nach Hause – und immer wieder an Fahrten mit der Rolltreppe, in der Hand ein Softeis, der neueste Schrei aus Amerika. Warenhäuser waren Wohnzimmer der Wirtschaftswunderkinder. In den kriegszerstörten Innenstädten gab es viel Platz für die neuen Bauten von Karstadt und Kaufhof, Hertie und Horten. Stadtbildprägend waren die Fassaden von Stararchitekt Egon Eiermann, im Volksmund auch Horten-Kacheln genannt: ein wabenartiges System, das es möglich machte, den Gebäudegrundriss sehr flexibel und mit einem Höchstmaß an Stellfläche auszugestalten. Es ging stets aufwärts im Leben wie auf einer Rolltreppe, und die Globalisierung war weit weg. Alles gab es unter einem Dach, freundlich präsentiert von adrett gekleideten Verkäuferinnen, die man Frollein nannte. Was es im Warenhaus nicht gab, das existierte schlicht nicht und man brauchte auch nicht in irgendeinem weltweiten Netz danach zu suchen. Das Warenhaus war die Begegnungsstätte einer Mittelstandsgesellschaft, die Träume, Wünsche und Begierden ihrer Mitglieder formte, nivellierte und wahr werden ließ.

Illusion einer heilen Welt mit Tausenden Glühbirnen

Mindestens so wichtig wie Vielfalt und Angebot der Waren war die Art ihrer Präsentation. Die Kaufhäuser beschäftigten dafür Dekorateure, die sich in den Wochen vor Weihnachten überboten an Einfallsreichtum. In riesigen Schaufenstern entrollten sich vor kindlichen Kulleraugen wahre Wunderwelten. Rudolph, das rotnasige Rentier, landete mit Santa Claus im Schlepptau in einer überzuckerten Alpenlandschaft, während sich der Schlitten bog unter all den Paketen. Überlebensgroße Kuschelbären mit Knopf im Ohr beäugten die Eisenbahn, die unter voller Beleuchtung in einen Tunnel fuhr, aus dem Himmel rieselte leise der Kunstschnee, und dazu sang Bing Crosby laut, dass er von einer weißen Weihnacht träume. Die Illusion einer heilen Welt wäre ohne die Erfindung der Glühlampe nicht denkbar gewesen. Noch heute entfaltet das Licht seine Magie. Fast 12.000 Glühbirnen erhellen die Fassade des Edelkaufhauses Harrods in London; täglich müssen Techniker rund 300 Leuchten auswechseln.

Treffpunkt für Klatsch und Tratsch

Abends versammelte sich vor den hell erleuchteten Scheiben „eine vor Begehrlichkeit rücksichtslose Masse“, um vornehme Abendkleider oder funkelndes Geschmeide in Augenschein zu nehmen. Das schrieb der französische Schriftsteller Émile Zola in seinem Roman „Das Paradies der Damen“. Im 19. Jahrhundert war das Warenhaus der einzige öffentliche Ort, den Frauen ohne männliche Begleitung aufsuchen konnten – und in dem es eine Damentoilette gab. Im Kaufhaus trafen sie sich zu Klatsch und Tratsch. In Teeräumen erholten sie sich von der Strapaze des Einkaufsbummels, im Schatten der Regale arrangierten sie ein Rendezvous. Kein Wunder, dass das Kaufhaus in Paris, der Stadt der Liebe, erfunden wurde. Aristide Boucicaut, dem Zola in seinem Roman unter dem Namen Octave Mouret ein Denkmal setzte, wurde 1852 Teilhaber im Bon Marché, einem kleinen Laden für Kurzwaren im Quartier Latin. Er führte feste Preise für seine Produkte ein. Das bereitete dem bis dahin üblichen Feilschen ein Ende. Auch wurde niemand, der das Geschäft betrat, zum Kauf gezwungen. Und alle erhielten ein Umtauschrecht für erstandene Waren.

Von Paris aus in die Welt

Die Ideen des findigen Unternehmers begeisterten die Pariserinnen so sehr, dass Boucicaut erweitern musste. 1869 entwarf Gustave Eiffel – ja, der mit dem Turm – das Eisengerüst für das imposante Warenhaus Au Bon Marché, das später einen kompletten Straßenblock füllen sollte. Von Paris aus ging es in die Welt. Bloomingdales in London, Macy’s in New York, ja, selbst die Bolschewisten konnten oder wollten dem ehrwürdigen GUM in Moskau nicht den Garaus machen. In Deutschland eröffneten 1875 und 1879 die jüdischen Kaufleute Georg Wertheim und Leonhard Tietz die ersten Warenhäuser, bescheiden in der Hansestadt Stralsund. In Berlin wurde es dann ein paar Nummern größer. „Wir gehen zu Wertheim“ – im Kaiserreich und in der Weimarer Republik drückte dieser Satz das Selbstbewusstsein einer neureichen Bourgeoisie aus, bevor sie sich den Nazis in die Arme warf. Die beraubten die Wertheims und Tietz’ und viele andere und nannten das Arisieren. Doch das Konzept der Kaufhäuser zerschlugen die Weltzerstörer nicht.

Alles unter einem Dach ist out

Das schaffte erst die Postmoderne. Die Mittelstandsgesellschaft zersplitterte in viele Lebensstile mit ganz speziellem Konsumverhalten. Man bestellt im Internet oder stöbert in kleinen Läden. Freiheit meint den Mut, einen individuellen Geschmack zu besitzen. Alles unter einem Dach? Will man gar nicht mehr. Was floriert und Umsatz bringt, das sind Ikonen des Luxus, zum Beispiel die Galeries Lafayette in Paris oder das KaDeWe in Berlin. Als der Kontinent noch geteilt war in kapitalistische Hedonisten und kommunistische Habenichtse, war der Konsumtempel am Ku’damm Schaufenster der freien Welt und Pfahl im Fleisch von Dunkeldeutschland. Heute zücken dort Chinesen auf Berlin-Tour ihre Kreditkarten. Und fahren eifrig Rolltreppe.

x