Kultur Der gute Nazi

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Er galt als Mannheims Vorzeigegroßbürger. Der Mäzen Heinrich Vetter war immer der „gute Mensch“ der Stadt. Vor rund eineinhalb Jahren wurde der Wohltäter als Nazi und Arisierer entlarvt. Was seither passiert ist. Eine Bilanz.

Auf der Homepage der Heinrich-Vetter-Stiftung aus Ilvesheim läuft bei jedem Aufrufen ein Video über den Mannheimer Ehrenbürger an. „Ein Kaufmann alter Schule“ heißt es über den erfolgreichen Kaufhausbetreiber. Er läuft als gebrechlicher Mann durchs Bild. Als „der gute Mensch von Mannheim“ firmiert Heinrich Vetter, der von 1910 bis 2003 gelebt hat. Dass er im Frühjahr 1933 der NSDAP beitrat, Mitglied des NS-Studentenbunds war, zwischen 1933 und 1935 bei der SA mitmarschierte, zeitweise als Scharführer fungierte, vor allem, dass er wie niemand sonst in Mannheim im Geschäftsleben von den Nazis profitierte, ist auf der Homepage allerdings ebenfalls zu erfahren, wenn auch weniger prominent. Über einen Link öffnen sich Informationen über sein Vorleben. Heinrich Vetter war ein Arisierer, verwickelt in üble Geschäfte mit Opfern. Denn er hat während der NS-Diktatur acht Grundstücke und Betriebe wie das Modehaus Landauer von Juden gekauft, die ihren Besitz bei der Flucht oder dem Transport in die Vernichtungslager zurücklassen mussten. Unter Wert. Für das Geschäftsgrundstück N 7,4 der Samt und Seide GmbH, einer der größten Betriebe dieser Art in Deutschland damals, bezahlte Vetter zum Beispiel 1938 im April 626.206,85 Reichsmark. Aber allein der markante Bau des jüdischen Architekten Fritz Nathan hatte die Samt und Seide Ende der 1920er Jahre 1,5 Millionen Reichsmark gekostet. Heinrich Vetter kam mitunter günstig an sein Imperium, auch wenn er später die jüdischen Erben teilweise entschädigte. Einen „aktiven Opportunisten“ in Sachen Arisierung nennt die Geschichtsforschung jemanden wie ihn. Die Enthüllungen sind schon heftig. So war das Kaufhaus Vetter, damals geführt von Vater Carl Heinrich, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Deutsch-Arischer Fabrikanten in der Bekleidungsindustrie (Adefa), einem freiwilligen Zusammenschluss von Betrieben, die jeden Geschäftsverkehr mit Juden ablehnten und die unter anderem rein „arische Modenschauen“ organisierten. Kann man so etwas mit einem Nachfolgeleben überschreiben? Ausführlich über Vetters Geschichte gibt die 960 Seiten umfassende Studie „Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt – Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim“ Auskunft. Geschrieben hat sie die Historikerin Christiane Fritzsche. Als die Studie 2013 im Verlag Regionalkultur herauskam, erschien Stiftungsgründer Heinrich Vetter, der auch in Karlsruhe und seinem Wohn- und Sterbeort Ilvesheim als Arisierer auftrat, jedenfalls in einem etwas anderen Licht. Anfangs kippte auch die Stimmung des zuvor mit Ehrungen überschütteten Wohltäters. Die Jüdische Gemeinde Mannheims erkannte ihrem früheren Gönner posthum und offiziell die Ehrenmedaille ab, die ihm 1998 verliehen worden war. „Wir wollten ein Zeichen setzen“, sagte die Vorsitzende der Gemeinde, Schoschana Maitek-Drzevitzky damals. „Die Auszeichnung hat unser Vorstand nach den damaligen Kenntnissen verliehen; wir können uns davon im Licht neuer Erkenntnisse heute nur distanzieren.“ Die Uni entfernte das Porträt ihres Geldgebers, das im Flur vor dem Rektorat der Uni Mannheim hing. Zudem wurde angekündigt, den jährlich vergebenen Heinrich-Vetter-Preis der Sozialwissenschaftlichen Fakultät künftig nach der Gründerin der „Sozialen Frauenschule“, der jüdischen Frauenrechtlerin Marie Bernays, zu benennen, die 1933 ihr Amt als Leiterin der Schule verlor. Allerdings ist das wohl im Sand verlaufen. Von einem Bernays-Preis finden sich keine Spuren. Kann es sein, dass die Absetzbewegung gegenüber Heinrich Vetter nach der anfänglichen Empörung etwas abgeebbt ist? Die Uni führt ihren Ehrendoktor auf der Homepage jedenfalls weiter ohne Einschränkungen als den größten und bekanntesten Mäzen Mannheims. „Nach seinem Examen als Diplom-Kaufmann trat er 1933 in das elterliche Kaufhaus Vetter ein, das sich zu einem der großen Mannheimer Kaufhäuser entwickelte“, wird lapidar angemerkt. Das kann man genauer wissen. Der Umsatz des Kaufhauses stieg, auch wegen der unlauteren Geschäfte, nach 1933 um das Fünf- bis Sechsfache. „Mit meiner Stiftung will ich das zurückgeben, was mir im Leben an Gutem widerfahren ist“, so sprach Heinrich Vetter früher immer über seine Motive. Möglich scheint jetzt auch, dass ihn das schlechte Gewissen dazu trieb, der zu sein, den man zu kennen glaubte. Ein aufrechter Katholik, der immer da war, wenn man seine Unterstützung brauchte. 1997 gründete der unverheiratet und kinderlos gebliebene gute Ex-Nazi eine Stiftung, die seit seinem Tod sein Werk als Alleinerbin weiterführt. 7,5 Millionen Euro hat Vetter bis zu seinem Tod 2003 gespendet. Seine Stiftung schüttet jährlich zwischen 700.000 Euro und einer Million Euro aus. Für einen Fonds, der ausländischen Studenten hilft, die in Not geraten sind, für eine Intensivtrage für Neugeborene für das Klinikum Mannheim, Klassikkonzerte der Academia Palatina für Schüler der Blindenschule Ilvesheim. Unzählig sind die guten Taten von Heinrich Vetter und seiner Stiftung. Auch viele Kulturinstitutionen wie das Mannheimer Nationaltheater, die Kunsthalle, aber auch die Literaturszene profitierten und profitieren vom teils unrühmlich begründeten Reichtum der Vetters. Die Stiftungsarbeit geht weiter, warum auch nicht. Zum Beispiel finanziert die Stiftung immer noch das Mannheimer Kinder- und Jugendstadtschreiber-Stipendium „Feuergriffel“, das auch schon der Literaturstar Saša Stanišic innehatte. Allerdings hat sich schon auch einiges verändert. Der ehemalige Heinrich-Vetter-Preis für bildende Kunst heißt jetzt Mannheimer Kunstpreis der Vetter-Stiftung. Solche Sachen. Kaum jemand ist nach der Teil-Entzauberung seines Mäzenaten vor eineinhalb Jahren so weit gegangen wie der Literarische Verein Rhein-Neckar Räuber 77, der statt des Heinrich-Vetter-Literaturpreises jetzt eine eigene Auszeichnung vergibt, die geringer dotiert ist. Sehr elegant kam die Kunsthalle Mannheim um eine Auseinandersetzung herum. Das Heinrich-Vetter-Forum, einst ein zentraler Raum des städtischen Museums, ist mit dem Mitzlaff-Trakt einfach abgerissen worden. Ein Ersatz dafür ist im Neubau nicht mehr vorgesehen. Die Stadt Mannheim dagegen hat sich, als die Verwicklung ihres Vorzeigegroßbürgers im Frühjahr 2013 publik wurde, sehr klar verhalten. Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) beraumte kurzfristig eine Gemeinderatssitzung zum weiteren Umgang mit Heinrich Vetter ein. Der Eindruck einer Politik des „Schwamm drüber“ sollte unbedingt vermieden werden. Eineinhalb Jahre später prangen an allen öffentlichen Räumen, in denen Heinrich Vetter als Namensgeber firmiert, Zusatzschilder, die darauf hinweisen, dass „Vermögensteile“ der Vetters aus Arisierungen stammen. Und dass Heinrich Vetter teilweise persönlich an diesen „Vorgängen“ beteiligt gewesen ist. In den Reiss-Engelhorn-Museen hängt ein solcher Hinweis. Oder auch am Anfang des Heinrich-Vetter-Skulpturen-Wegs im Mannheimer Luisenpark. Ein sogenannter Audiowalk ist verfügbar, in dem auch die Arisierungen der Familie Vetter thematisiert werden, eine kostenlose App mit dem Titel „Verdrängt und ausgeplündert: Mannheimer Juden im ,Dritten Reich’. Eine Spurensuche vor Ort“. Sie ist unter Federführung des Mannheimer Stadtarchivs und dessen Leiter Ulrich Nieß entwickelt worden. Die Stadt hat vieles richtig gemacht. Und auch die Stiftung selbst geht offen damit um, was ihr Gründer getan hat. Sie wird mittlerweile vom langjährigen Wissenschaftsminister Peter Frankenberg geführt. Der frühere Vorsitzende Carl-Heinrich Esser wies die ersten Vorwürfe noch brüsk zurück, als diese kurz nach Heinrich Vetters Tod aufkamen. Trotzig steuerte er über die Stiftung 30.000 Euro zu dem Forschungsprojekt bei, das Vetter schließlich überführte. Sein Nachfolger Frankenberg stellte dagegen fest, „dass der geschäftliche Erfolg, der Aufstieg, der streng katholischen Familie über alles ging, lässt sich nicht wegdiskutieren“. Ihre Arbeit verrichte die Stiftung „im Bewusstsein, dass das dunkelste Nazi-Kapitel der deutschen Geschichte nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden darf“, wie es in einer Stellungnahme heißt. So unterstütze sie weitere Forschungsprojekte über die Arisierungen in Mannheim und Ilvesheim. Sie habe auch dafür gesorgt, dass ein von ihr finanziertes Sportfeld der Universität nach dem Nazi-Opfer Alfred Delp benannt worden ist. Mit der Jüdischen Gemeinde Mannheims gehe die Zusammenarbeit auch weiter. Zudem solle in der Dauerausstellung der Stiftung ausdrücklich auf die Arisierungen hingewiesen werden, die die Familie Vetter zu verantworten hat. „Heinrich Vetters Leben war, wie das vieler Menschen, durch unterschiedliche Abschnitte gekennzeichnet. Wir haben keinen Grund, diesen Teil seiner Biografie zu verschweigen“, lässt die Stiftung verlauten. Einen Rückgang der Anfragen nach Unterstützung hat sie im Übrigen nicht festgestellt.

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