Rheinpfalz Der Fluch der guten Tat

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Einige Pfälzer Tafeln klagen darüber, dass sie nicht mehr genug Lebensmittelspenden für Bedürftige bekommen. Was paradoxerweise auch ein Erfolg der Tafel-Bewegung ist: Die ist nämlich angetreten, Lebensmittelverschwendung zu verhindern. Heißt allerdings: Je erfolgreicher man damit ist, desto weniger bleibt für Arme.

Anfang Mai, und bei der Ludwigshafener Tafel ist immer noch Ostern: Hasen und Schokoladeneier satt im kleinen Raum, in dem Trocken- und Konservennahrung aufbewahrt wird – Spenden der örtlichen Lebensmittelmärkte und Discounter, die die Saisonware aus den Regalen haben wollen. Gute Nachricht: Der Verdacht, Osterhasen würden zu Weihnachtsmännern eingeschmolzen, erweist sich als nicht stichhaltig. Schlechte Nachricht: Insgesamt findet sich eine ziemlich überschaubare Menge an Ware im Lagerraum der Ludwigshafener Tafel – und die versorgt in der Woche immerhin bis zu 1000 Bedürftige mit den Lebensmitteln, die der Einzelhandel seinen Kunden nicht mehr verkaufen will oder kann. „Im vorderpfälzischen Raum gibt es die Tendenz: Es werden weniger Lebensmittel gespendet“, sagt Tafel-Leiterin Stephanie Zimmer. Man hat schon vor einigen Wochen Alarm geschlagen, bei der Ludwigshafener Tafel – der schlicht das Essen ausgeht: Seit Februar werden keine Bedürftigen mehr in die Kartei aufgenommen, in der sich registrieren lassen muss, wer sich kostenlos mit Lebensmitteln eindecken will. Alle zwei Wochen darf man sich, hat man es in die Kartei geschafft, im Flachbau an der Bayreuther Straße mit Nahrungsmitteln versorgen, mit denen, die gerade zur Verfügung stehen jedenfalls. „Wurst gibt’s wenig, Fleisch so gut wie gar keins“, sagt der ältere Mann, der kurz vor 12 Uhr vor noch geschlossenen Türen wartet. Was sich mit den Erfahrungen deckt, die man im nahen Speyer macht, wo die Tafel ebenfalls einen Aufnahmestopp einführen musste – und bei der sich Leiterin Heiderose Zwick nach eigenem Bekunden „Tag und Nacht Gedanken“ machen muss, woher sie die Lebensmittel, die da verteilt werden sollen, eigentlich hernehmen soll. „Die Märkte kalkulieren heute schon ganz schön knapp“, versucht sich Zwick an der Ursachenforschung, „das ist nicht mehr so wie früher.“ Was paradoxerweise hieße, dass die Tafeln mit ihrem eigenen Erfolg zu kämpfen hätten – und der schlimmste Feind des Guten manchmal eben das Gute ist. Die Tafeln, gut 900 gibt es bundesweit, sind ursprünglich „angetreten, die Verschwendung von Lebensmitteln zu verhindern“, so Stefanie Bresgott, Pressesprecherin des Bundesverbandes Deutsche Tafel. Hintergrund war und ist die schon seit Langem schwelende Diskussion über die Verschwendung von Lebensmitteln in privaten Haushalten – aber auch im Einzelhandel, beispielsweise mit seinen oft bis zum Ladenschluss gut gefüllten Brotregalen. Rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr werden in Deutschland laut einer Studie der Universität Stuttgart aus dem Jahr 2012 weggeworfen, der Löwenanteil davon mit knapp 7 Millionen Tonnen in privaten Haushalten. Handlungsempfehlungen zur Müllvermeidung gibt die Studie, im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erstellt, allerdings auch für den Handel: So sollten Warenbestellungen und Logistik optimiert, Ware nahe dem Mindesthaltbarkeitsdatum verstärkt mit Sonderaktionen abverkauft werden. Erfolg und Fluch auch der Tafelbewegung: Der Handel hat die Gebete offensichtlich erhört. „Die Lebensmitteleinzelhändler haben ihren Einkauf deutlich effektiver gestaltet“, sagt Michael Lendle von der „AFC Consulting Group“, einer Bonner Unternehmensberatung, die auf die Wertschöpfungskette im Lebensmittelbereich spezialisiert ist. Müllvermeidung und Nachhaltigkeit seien Pfunde, mit dem der Einzelhandel bei den Verbrauchern wuchern wolle, meint Lendle – und daneben sprächen natürlich betriebswirtschaftliche Gründe für eine genauere Kalkulation schon beim Einkauf: „Kein Handel hat Lust, Lebensmittel wegzuschmeißen.“ Erfolg auf der ganzen Linie, sollte man also meinen – aber den Eindruck kann man sich durch einen Besuch bei der Ludwigshafener Tafel schnell wieder korrigieren lassen: Viertel nach 12 Uhr, und die Bude ist rappelvoll und wird, der Schlange vor der Türe nach zu schließen, auch in den kommenden Stunden rappelvoll bleiben. An der Ausgabetheke, die drei Seiten des Raums umschließt, stehen ältere Menschen, jüngere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen ohne, Menschen, die mit ihrer ganzen Familie kommen und Menschen, die ihre Einsamkeit ziemlich offen vor sich her tragen. Brot wird heuer knapp werden, das erkennt Tafel-Leiterin Zimmer mit geschultem Blick, gut, wird weniger weggeschmissen, schlecht, kein Brot da für die Armen. „Ich hab hier selbst angefangen, weil ich was gegen die Lebensmittelverschwendung tun wollte“, sagt Zimmer, nach langer Konfrontation mit alltäglicher Armut verändert sich allerdings wohl der Fokus: „Wenn ich durch die Ludwigshafener Innenstadt laufe, sehe ich mehr Leute, die hierherkommen, als andere “, sagt Zimmer. Für die strukturelle Lösung der Armutsproblematik sind die Tafeln nach eigenem Verständnis allerdings gar nicht da: „Die Tafeln sind kein Vollversorger“, meint Bresgott vom Tafel-Bundesverband, „es kann nicht sein, dass auf Ämtern gesagt wird: Wenn Hartz IV nicht reicht, gehen Sie zur Tafel.“ Auch in Ludwigshafen schlagen potienzielle Kunden auf, die von den Sozialbehörden geschickt wurden. „Das ist für die Sachbearbeiter wohl das Einfachste“, meint Zimmer. Die potenzielle Tafel-Klientel ist in Ludwigshafen wenigstens im vorderpfälzischen Vergleich allerdings auch ziemlich groß: Knapp 24.000 Menschen haben am 31. Januar 2015 in der 162.000-Einwohner-Stadt Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen – also rund 15 Prozent der Bevölkerung. Kleiner Strukturvergleich, so von Nachbar zu Nachbar: In Frankenthal, gut 47.000 Einwohner, sind es aktuell knapp 4800 Menschen, um die 10 Prozent. Mit einer unterschiedlich stark ausgeprägten Armutsproblematik könnte jedenfalls zusammenhängen, dass manche Tafeln im Land besser gedeckt sind als andere: „Bei Ihnen im Süden ist das teilweise kritisch“, meint der Koblenzer Bernd Neitzert, Vorsitzender des Tafel-Landesverbandes Rheinland-Pfalz/Saarland. Viele andere Tafeln im Land könnten dagegen nicht über Engpässe klagen. Den Pfälzer Kollegen rät Neitzert, ihre Spender-Netzwerke besser zu pflegen – und noch stärker auch kleinere Lebensmittelspenden zu akquirieren. Was als Erfolgsrezept der Frankenthaler Tafel gelten darf – einer Tafel, bei der die Bedürftigen vergleichsweise gut versorgt werden: Kein Aufnahmestopp, kein Limit für die Besuche, „die Leute können kommen, so oft sie wollen“, sagt Marianne Möller, die die Tafel zusammen mit ihrem Gatten Franz-Josef organisiert. Das Rezept der Möllers: Die Bereitschaft, auch kleinere Lebensmittelspenden abzuholen – und das zügig, gleichsam auf Zuruf. „Die Geschäftsstelle ist bei uns zu Hause“, sagt Möller, „man kann uns morgens um 7 Uhr anrufen – und wir kommen vorbei.“ Und so ist es wahrscheinlich ein Bündel von Faktoren, das zu den Schwierigkeiten mancher pfälzischer Tafeln führt: Strategische Veränderungen im Lebensmittelhandel, eine Vernetzung mit den Spendern, die mancherorts wohl noch Luft nach oben hat – und nicht zuletzt die Frage, wie viel strukturelle Armut es in einer Kommune gibt. Am Ende des Tages gilt dann eben doch die Regel, dass man nur verteilen kann, was man zu verteilen hat – weil die mutmaßlich letzte wundersame Vermehrung von Lebensmitteln vor rund 2000 Jahren stattgefunden hat: „Wenn ich 1000 Brote und 2000 Abholer habe – dann kann das nicht aufgehen“, meint Tafel-Landessprecher Neitzert. Das Problem ist schlicht: Die Tafeln bräuchten Jesus und nicht den Osterhasen.

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