Kultur "Guillaume Tell" in Saabrücken: Kein Platz für die Liebe

Peter Schöne in der Rolle des Wilhelm Tell.
Peter Schöne in der Rolle des Wilhelm Tell.

Das Saarländische Staatstheater eröffnet die erste Saison des neuen Intendanten Bodo Busse mit Gioacchino Rossinis Oper

Mit einem fulminanten Auftakt eröffnete das Saarländische Staatstheater Saarbrücken unter seinem neuen Intendanten Bodo Busse am Sonntagabend die Spielzeit: Roland Schwabs Interpretation von Gioacchino Rossinis letzter Oper „Guillaume Tell“, in französischer Sprache gesungen, hinterfragte den Mythos um den Freiheitshelden in einer von der ersten bis zur letzten Sekunde spannenden Inszenierung, die unter die Haut ging. Wer war Wilhelm Tell? Märtyrer, Schweizer Freiheitskämpfer, Nationalheld, sagt die Überlieferung. Doch war er eine reale Person oder eine Legende, die zum Mythos geworden ist? Regisseur Roland Schwab erzählt seine Geschichte als überzeitliche Utopie mit packender atmosphärischer Dichte: Schon während der Ouvertüre zeigt eine Filmeinspielung Tell (Peter Schöne) in einer weiß gekachelten Zelle, aus der er ausbrechen möchte, seine Frustration und sein Hass zeigen sich deutlich. Im ersten Bild tritt er als Außenseiter bei einer munteren Hochzeitsgesellschaft auf, bewaffnet mit seiner Armbrust und voll aggressiver Konzentration. Diese Spannung lebt auch in der Musik, die das Saarländische Staatsorchester unter der Leitung von Sébastien Roland vibrierend wie eine Stahlfeder und in ständigem Fluss ausformt, nuancenreiche lautmalerische Schattierungen setzen die Musikerinnen und Musiker klangschön und expressiv um. Belcanto gibt es hier sicher noch, es ist immerhin eine italienische Oper von Rossini, aber er steht ganz im Dienst des musikdramatischen Ausdrucks. Rossini hat sich quasi stilistisch neu erfunden, verleugnet dabei aber seine Wurzeln nicht. Die Eleganz der italienischen Oper bleibt erhalten, gewinnt aber eine ganz neuartige Ausdruckskraft, zu der die großen Chöre maßgeblich beitragen – eine neue Form, die Grand Opéra mit ihren großen Handlungsszenen ist geboren. Diese musikdramaturgischen Strukturen berücksichtigt Roland Schwab in seiner Regiearbeit, vor allem in der überzeugenden Personenführung, geradezu meisterlich. Er entwickelt die Charaktere in stetem Dialog mit der Musik. Bühnenbildner Piero Vinciguerra hat eine bootähnliche offene Konstruktion entwickelt, die als Drehbühne multifunktionale Spielräume bietet: Haus mit Hochzeitsgesellschaft, Berglandschaft, Boot. Hier drangsalieren, foltern und töten der kaiserliche Landvogt Gessler (Hiroshi Matsui) und seine Soldateska als Besatzungsmacht voll zynischer Brutalität, für die Roland Schwab anstelle eines Ballettes erschütternde Bilder findet. Hier kämpft Tell in immer größerer Radikalität seinen Freiheitskampf, dem er seine Familie und alle privaten Wünsche bedingungslos unterordnet. Dieses Opfer verlangt er auch von dem jungen Arnold Melchthal (Sungmin Song), der auf seine Liebe zu der gegnerischen Prinzessin Mathilde (Pauliina Linnosaari) verzichten soll, um sich ganz dem Kampf für sein Volk und der Rache für seinen auf Gesslers Befehl ermordeten Vater widmen zu können. Diese Welt kennt die Liebe nicht, die Kollektive vereinnahmen das Individuum. Auch für Mathilde ist in der neuen Gesellschaft Tells kein Platz, obwohl sie den Unterdrückten geholfen und sich zu Arnold bekannt hat – die musikalische Schlussapotheose der Freiheit rückt Roland Schwab damit in ein fragwürdiges Licht. Peter Schöne verkörpert den Titelhelden mit expressivem Bariton darstellerisch wie musikalisch überzeugend. Die Entdeckung des Abends ist Sungmin Song, dessen tenorale Strahlkraft mit leuchtender Höhe ebenso wie seine zarten, intimen Liebesszenen mit dem klangvollen, doch schlank geführten lyrischen Sopran von Pauliina Linnosaari das Publikum zu stürmischem Beifall hinrissen. Termine —Vorstellungen am 14., 17., 23. September; 1., 3., 13. Oktober und 1. November —Karten: 0681/3092-486, www.staatstheater.saarland

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