Ludwigshafen Heimat hinterm Lattenzaun

Rauminstallation „Jungbusch“ von Francisco Klinger Carvalho.
Rauminstallation »Jungbusch« von Francisco Klinger Carvalho.

Um Materialien und künstlerische Arbeitsprozesse geht es in der Ausstellung „Schichtungen“. Die städtische Galerie Port25 in Mannheim stellt in ihrer neuen Ausstellung drei Künstlerinnen und zwei Künstler vor, deren Arbeiten sich dem Betrachter nicht auf Anhieb erschließen. Manches kann man mittels geduldiger Blickerkundung selber herausfinden, für anderes braucht man die Auskunft der Künstler.

Francisco Klinger Carvalho hat eine lange Reise hinter sich, der Weg führte von der kleinen Stadt Obidos in Brasilien, wo der geboren wurde, nach Düsseldorf, wo er an der Kunstakademie bei Tony Cragg studierte, weiter nach Wiesbaden, zurück nach Brasilien, wofür jeweils Arbeitsstipendien verantwortlich waren. Es folgte eine Gastprofessur in Kolumbien, ein weiteres Stipendium in der Pfalz und schließlich der Umzug nach Mannheim vor einem Jahr. Bestimmt 20 Mal in seinem Leben habe er bislang den Wohnsitz gewechselt erzählt der 1966 geborene Künstler. Wenn man das weiß, kann man seine aus alten Möbelstücken und anderen gesammelten, gefundenen oder ausgeliehenen Dingen bestehenden Installationen besser verstehen. Eine Schiffsform haben diese Anhäufungen meistens, und drumherum ist immer ein Zaun gebaut, als wolle der Künstlers all die Dinge auf einer imaginären Reise mit aller Kraft zusammenhalten. Mitten in der Ausstellungshalle des Port25 breitet sich Carvalhos Installation raumgreifend aus. Da türmen sich Tische und Stühle, ein Rennrad steht am Rand, das Schild einer Tankstelle ist zu finden, afrikanische Kunst aus dunklem Holz, eine Topfpalme. Alles stammt aus dem Viertel, in dem der Künstler lebt und in dem sich auch die Galerie befindet. Im Jungbusch hat Carvalho in Kellerbars, Kulturzentren und Restaurants nach interessanten Dingen gesucht. Das Künstlerhaus Zeitraumexit gleich gegenüber hat eine abmontierte Leuchtreklame mit dem Signet des Kulturzentrums zur Verfügung gestellt. Die Palme stammt aus einem italienischen Restaurant und soll in möglichst gutem Zustand wieder zurückgegeben werden. Und das Fahrrad hat Galerieleiterin Stefanie Kleinsorge beigesteuert und fährt in den nächsten Wochen stattdessen mit dem Auto. Man könnte die Arbeit mit dem Titel „Jungbusch: Das erneute Treffen des Reisenden in dem gleichen Ort nach 20 Jahren“ als Porträt eines Viertels betrachten, es erzählt aber auch von dem vielgereisten Künstler, der sich mit fremden Dingen ein Fleckchen Heimat zu schaffen versucht und einen schützenden Lattenzaun drumherumgebaut hat. Weniger einfach erschließt sich die Komplexität des Entstehungsprozesses in den Bildern von Jutta Grell. Da sieht man schwarze Körpersilhouetten, grob ausgerissen aus Papier, die einen ausgebleichten Schatten zu werfen scheinen. Was hier als Wandbild präsentiert wird, ist spätes Ergebnis einer Kunstaktion aus dem Jahre 1991 in Karlsruhe. Damals hatte die Künstlerin lange Papierbahnen auf der einen Seite mit Ölfarbe und Firnis bemalt und auf der anderen mit Papierausrissen beklebt. Jahre später schnitt Grell Segmente aus diesen Papierfahnen aus und klebte diese auf Bildträger aus Leinenstoff, was bei dem Papier zu Verwerfungen und einer hautartigen Struktur führte und den Bildern etwas Morbides oder Archaisches verleiht. Bei Myriam Holme könnte man noch länger rätseln, mit welchem Material hier die poetisch-schlierigen, mal matten, mal glänzenden Strukturen der klein- und mittelformatigen Bilder erzeugt sind. Die Mannheimer Künstlerin, die im Grenzbereich von Malerei und Objektkunst arbeitet, verwendet mit Farbpigmenten durchsetzte flüssige Kernseife, die sie in mehreren Schichten auf eine Leinwand aufträgt. Durch Schaben, Drücken, Kratzen und erneutes Abtragen wird die Oberfläche bearbeitet, beim Trocknungsprozess entstehende Risse schaffen ein Liniengeflecht. Andere Bilder sind von anmutiger Glattheit und offenbaren die fließenden Strukturen des Materials, als sei da ein Strömungsprozess in einem Moment abrupt gestoppt worden. Der Heidelberger Herbert Jung hat ein Berufsleben lang als Chemiker gearbeitet und sich im vorgerückten Alter autodidaktisch der Kunst zugewandt. Er benutzt Abbildungen von Gerhard Richters Streifenbildern oder Einladungskarten einer New Yorker Galerie für seine bunten Übermalungen. Hier wird viel ausprobiert und experimentiert mit Eigenschaften von Farben und Techniken, das gilt auch für die Miniskulpturen, bei denen Eisennägel sich unter dem Einfluss von Salzsäure in archaisch-fragile Objekte verwandeln. Als einzige Künstlerin dieser Ausstellung kommt Susanne Lyner nicht aus der Region. Die Schweizerin lebt in Basel, zieht sich für ihre Arbeit aber immer wieder an andere Orte zurück, etwa in die schroffe Bergwelt des Unterengadin. Dort ist die Zeichnung „immergleichanders“ entstanden, eine 1,5 Meter breite und zehn Meter lange Papierbahn aus waagrechten Streifen. In geduldiger Handarbeit hat die Künstlerin die Striche mit farbigen Tuschestiften und einem Lineal übereinandergezogen. In Mannheim wurde die Arbeit nicht am Boden ausgelegt, sondern über einen der Beton-Deckenträger der Halle gehängt, was für einen dramatischen Blickfang sorgt. Susanne Lyner arbeitet meist mit streng geometrisch wirkenden Linienstrukturen, dabei wird die Farbe oft mit gleichmäßigem Schwung auf den Bildträger geworfen, bis sich die getrockneten Farbfäden zu einer eigenständigen Trägerstruktur verdichten. Aber auch die Farbreste, die beim Werfen über das abgeklebte Format hinaus entstehen, bleiben nicht unverarbeitet. So ist aus an einem Ende mit einem Knoten versehenen Farbbündel ein lustig-farbenfrohes Puppenensemble entstanden. Öffnungszeiten „Schichtungen“ im Port25 in Mannheim, Hafenstraße 25-27, bis 20. August, geöffnet Dienstag bis Sonntag, 12-18 Uhr, Donnerstag auch bis 21 Uhr.

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