Rheinland-Pfalz Südwest: Korruptionsvorwürfe gegen Bürgermeister von Oppenheim

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Anonyme Hinweise belasten einen Bundestagsabgeordneten der SPD, den Bürgermeister von Oppenheim. Es geht um Provisionen für ein Baugebiet. Vielleicht geht es aber auch darum, den unliebsamen Politiker Marcus Held loszuwerden.

Es gibt Gerede. Es gibt offenbar viel Gerede in Oppenheim am Rhein. Und das seit Monaten. Über Korruption, über Vetternwirtschaft. Die Sache zieht Kreise. Im fernen Berlin wird diskret und intern die Frage nach einer möglichen Parteispendenaffäre geprüft. Und es gibt mindestens einen anonymen „Mister X“. Der nährt das Gebräu von Verdächtigungen mit einem 48-seitigen Dossier. Mit Verdächtigungen. Mit Maklerrechnungen. Mit Auszügen aus Notarverträgen und Verwaltungsvorlagen. Mister X sitzt an der Quelle. So hat es den Anschein. Und wer an der Quelle sitzt, weiß, wovon er redet, nicht wahr? An vieles hat Mister X gedacht im Memorandum mit dem Betreff „Marcus Held, Mitglied des Bundestages, Bürgermeister der Stadt Oppenheim“ unter dem Datum vom 9. Februar 2017. Nur an eines nicht: an Beweise. Mister X – ein Whistleblower oder ein Denunziant? Genaues weiß man nicht. Aber unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vorwürfe – diese Geschichte ist auch eine über Politikstile. Denn der Anonymus hat einen Nerv getroffen. Welcher Politikstil ist angemessen, um Mehrheiten zu sichern? Wer als Politiker punkten will, muss möglichst sympathisch, aufrichtig und glaubwürdig in der Öffentlichkeit erscheinen. Wer innerhalb einer Partei, in den Räten und Parlamenten Mehrheiten finden will, muss auch hinter den Kulissen agieren können. Der moderne Begriff dafür ist netzwerken. Das bedeutet, mit Leuten zu reden, Gemeinsamkeiten auszuloten, auch Abreden zu treffen, sich gegenseitig bei Abstimmungen zu unterstützen. Die andere Art ist: ein System von intransparenten Abhängigkeiten; sich Leute mit Gefälligkeiten gewogen zu machen, bei denen Jobs herausspringen oder Geld kann. Was hat das nun mit dem Bundestagsabgeordneten Marcus Held und den anonymen Vorwürfen zu tun? Statt Solidarität zu üben, heißt es bei Genossen im Lande hinter vorgehaltener Hand: „Das Problem ist sein Ruf. Ihm wird so etwas zugetraut.“ Eine Frage von Helds Politikstil also. Im Kern geht es um Immobiliengeschäfte im Oppenheimer Neubaugebiet „Krämereck Süd“. Die Stadt hat Land angekauft, es entwickelt und verkauft. Für die klamme Kommune, Stand 9. März 2017, ein Geschäft. Ausgaben: 9,1 Millionen Euro – Einnahmen 10,9 Millionen, sagt Held. Mister X behauptet nun: Es sei nicht plausibel, dass Oppenheim einen Makler für diese Grundstücksgeschäfte einschaltet. Wegen der Maklerprovisionen sei der Stadt ein Schaden in Höhe von 184.000 Euro entstanden. Mister X legt Kopien von Maklerrechnungen bei, die allerdings nur belegen, dass gezahlt wurde. Was sagt der Bürgermeister dazu? Der sitzt in seinem Bundestagsbüro in Berlin. Er nimmt sich Zeit, er müht sich um Transparenz. Zweieinhalb Stunden beantwortet er dem Journalisten Fragen, reicht Dokumente, Vereinbarungen, Beschlüsse. Warum ein Makler, warum die Provisionszahlungen? Die Antwort ist mehrschichtig und taucht tief ins reale Leben ein. Held sagt, die Stadt hätte – erstens – gar nicht genug Personal, die Geschäfte in Eigenregie abzuwickeln. Der Makler sei – zweitens – von Landverkäufern beauftragt worden. Aber warum hat die Stadt dann Provisionen für eine nicht selbst verlangte Maklerleistung bezahlt? Helds Antwort: Hätte die Stadt die Courtage nicht übernommen, hätten die Verkäufer den Grund womöglich an zahlungswillige Dritte veräußert. Eine Einschätzung, die der CDU-Fraktionschef im Oppenheimer Rat, Marco Becker, bestätigt. Im Übrigen habe der Stadtrat vorab Kenntnis von den Makleraktivitäten und den Provisionsverpflichtungen gehabt, so Held. Hinter der Maklergeschichte steckt freilich ein schwerwiegenderer Verdacht des Mister X: Die systematische Übernahme von Provisionsverpflichtungen „erfolgte zur Verdeckung anderer wirtschaftlicher Absichten“. Es ist die Rede von „Kick-backs“, von Rückerstattungen also, die in „Richtung der SPD Oppenheim und/oder sogar der Person Held“ geflossen sein könnten. Der Bürgermeister weist das kategorisch zurück. Und auch Mister X ist sich seiner Sache offenbar nicht sicher. Denn er räumt ein: Nichts sei belegt. Was ihn gleichwohl nicht daran gehindert hat, die Verdächtigungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Auch das eine Frage des Politikstils. Im Dossier des Mister X tauchen weitere Verdächtigungen auf: Vetternwirtschaft unter Genossen beispielsweise. Zwischen der Stadt Oppenheim und Erich Menger. Der führte einst als Vorgänger Helds im Oppenheimer Rathaus die Geschäfte und sei Parteifreund Helds. Die Mengers traten als Makler auf und bekamen Provisionszahlungen. Oder: von der Stadt bezahlte Werbekampagnen. Mister X schreibt: „Entsprechende Aufwendungen der Stadt Oppenheim nutzten nicht der Kommune, wohl aber Held in Person.“ Verdächtigungen, Andeutungen, Behauptungen, aber kein einziger Beweis. Und wie Held die Vorgänge erklärt, klingen sie zumindest plausibel. Im Übrigen verweist er darauf, dass es in Oppenheim 2016 eine Kommunalprüfung gegeben habe. Das Dossier wurde offenbar seit Januar an einen größer werdenden Kreis von lokalen und überregionalen Medien verschickt. Kopien gingen auch an den Landesrechnungshof in Speyer und an die Mainzer Staatsanwaltschaft. Publik wurde die Geschichte aber erst Anfang der Woche. Held selbst ist gegenüber der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ in die Offensive gegangen und hat eine Strafanzeige wegen Verleumdung angekündigt. In der rheinland-pfälzischen SPD wird die Entwicklung in Oppenheim mit Interesse – und mit kühler Distanz zu Marcus Held verfolgt. Sein forscher Politikstil erinnere an die 1960er und 70er Jahre, das sei nicht mehr zeitgemäß. Dabei ist Held erst 39 Jahre alt. Den SPD-Landesvorsitzenden Roger Lewentz hat Held am Montagabend informiert. „Als Landesvorsitzender habe ich die schwerwiegenden Vorwürfe zur Kenntnis genommen und dementsprechend gehandelt. Mir ist an einer möglichst zeitnahen Aufklärung gelegen, weshalb ich gemeinsam mit Generalsekretär und Schatzmeister gleich am Dienstag eine Prüfung veranlasst habe. Nun warten wir das Ergebnis ab.“ Held musste Unterlagen vorlegen. Nach Informationen der RHEINPFALZ am SONNTAG ist bei der Prüfung von Schatzmeister Dieter Feid auch die Berliner SPD-Parteizentrale, das Willy-Brandt-Haus, eingeschaltet. Aus Oppenheim seien in den vergangenen Jahren ungewöhnlich hohe Spenden verbucht worden, heißt es. Mit Spendenskandalen ist in Rheinland-Pfalz die CDU aufgefallen, zuletzt durch Zuwendungen des Ex-Agenten Werner Mauss. Im Umgang damit agierte die Union nicht klug, was die SPD weidlich ausgeschlachtet hat. Sie will sich nun anders verhalten als die politische Konkurrenz. Schon allein, um die Lichtgestalt Martin Schulz an der Spitze nicht zu verdunkeln. Die Retourkutsche der CDU kam prompt: Die Korruptionsvorwürfe gegen Held müssten endlich aufgeklärt werden, posaunte CDU-Generalsekretär Patrick Schnieder öffentlich heraus. Andere Vorwürfe gegen Held prüft der Landesrechnungshof. Wenige Tage vor Helds Gang an die Öffentlichkeit waren 16 Aktenordner in Speyer eingetroffen. Zusammengestellt hatten sie Mitarbeiter der Verbandsgemeinde Rhein-Selz, zu der Oppenheim gehört. Der Rechnungshof schaut nur auf die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns. Für mögliche Rechtsverstöße wäre die Staatsanwaltschaft zuständig. Bei ihr ging am 10. Februar eine anonyme Anzeige ein. Die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller wartet die Rechnungshofprüfung ab. Held hat andere Pläne. Er will nach der Wahl im September im Bundestag bleiben. Für die Listenaufstellung beim Parteitag am 29. April hat er sich den vierten Platz gesichert, vor vier Jahren war er auf einem Wackelplatz gestartet. Seine Chance kam, als sich Michael Hartmann, das einstige politische Schwergewicht der rheinhessischen SPD, zurückzog. Held machte das Recht des (Dienst-)Älteren auf den Spitzenplatz der Rheinhessen-SPD geltend. Um diesen bewarb sich aber auch der frühere rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl. Die Abstimmung endete 48 zu 39 für Held. Kühls Wahlkreis hat weniger Delegierte, aber er ist beliebter, deshalb wurden ihm Chancen zugetraut. Held, so heißt es, habe kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um in Erinnerung zu rufen, dass Kühl 2013 wegen des Nürburgrings sein Amt aufgeben musste. Die Staatsanwaltschaft hat zwar nie ermittelt, aber für Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) war Kühl aus machttaktischen Gründen nicht mehr tragbar. War Helds parteiinterner Wahlkampfstil verwerflich? Eher üblich. Sein eigenes politisches Schicksal hängt nun von der parteiinternen Prüfung ab – und von der Prüfung des Rechnungshofs. Eine Entscheidung wird vor dem Parteitag Ende April erwartet.

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