Kultur Südpfalz Wie gehen Schulkinder mit Bilderbüchern um?

In Zeiten digitaler Datenfluten wird das Bild zum wesentlichen Fenster der Welt. Ein geschulter Umgang mit visuellen Zeugnissen sei wichtig und gerade die Bedeutung literarästhetisch anspruchsvoller Bilderbücher werfe Fragen nach vielfältigen Wahrnehmungsmöglichkeiten auf, sagt Gabriela Scherer vom Institut für Germanistik. Am vergangenen Wochenende leitete sie gemeinsam mit Steffen Volz von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg eine Tagung, die sich mit Bilderbuchrezeptionsforschung befasste. Elke Partovi hat sie dazu befragt.

Ist es die erste Tagung der Uni zur Bilderbuchrezeptionsforschung?

In Landau ist es schon die zweite. Es ist ein noch junges Forschungsfeld, in Deutschland gibt es das eigentlich erst seit zwei bis drei Jahren. Worum genau geht es da? Wir erforschen, wie Kinder und Jugendliche ab dem Grundschulalter mit anspruchsvollen, von der Bildlichkeit und Erzählstruktur her ungewöhnlichen und teilweise schwer verständlichen Bilderbüchern umgehen. Beim Bilderbuch ist beispielsweise im Vergleich zum reinen Schrifttext das Seitenumblättern enorm wichtig. Denn von der einen Seite zur nächsten passiert etwas, was ich nicht sehe, die Geschichte geht nicht bruchlos weiter. Man muss Imaginationskraft besitzen, um sich vorstellen zu können, was einem nicht gesagt und nicht gezeigt wird, um einen Zusammenhang herstellen zu können. Können Sie ein Beispiel für ein anspruchsvolles Bilderbuch nennen? Es gibt Bilderbücher, in denen thematisiert wird, dass uns eine Geschichte erzählt wird, das nennt man Metafiktion. Da heißt es beispielsweise: „Ich bin eine Figur in einer Erzählung, du Erzähler, gib mir mal ein Kleidchen, ach nein, das gefällt mir nicht, gib mir doch bitte ein anderes.“ Also etwas total Ungewöhnliches. Das könnte man doch auch schon im Kindergartenalter einsetzen, oder? Jein. Es ist wichtig, dass Bild und Text (vor)gelesen und betrachtet werden, weil sich Text und Bild manchmal auch widersprechen. Bei der Rezeptionsforschung geht es nun darum zu ergründen: Was machen die Kinder dann? Es gibt Kinder, die total verwirrt sind und das Lesen abbrechen, weil sie sagen: „Das verstehe ich nicht, ich will nicht weiterlesen.“ Andere Kinder hingegen werden dann richtig herausgefordert, Deutungen herzustellen, die Sinn machen. Wir filmen das Ganze auch und erleben, dass die Kinder plötzlich den Zusammenhang verstehen und diese Freude in ihren Gesichtern auftaucht. Unterscheiden sich deutsche Bilderbücher von denen anderer Länder? Man kann sagen, dass die Verlage im englischsprachigen und skandinavischen Raum Vorreiter waren und früher als hier damit begonnen haben, anspruchsvolle Bilderbücher herauszubringen. Also nicht diese naiven Kindergartenbücher. Man spricht von All Age Literatur, es gibt Erwachsene, die kaufen sich diese Bilderbücher so, wie sich andere Leute Kunstbildbände kaufen. Was macht für Sie ein gutes Bilderbuch aus? Muss es eigentlich immer eine Botschaft haben und lehrreich sein? Nein, ich denke eher, es sollte eine Geschichte erzählen und den Leser vergnügen und unterhalten. Es sollte anspruchsvoll sein in der Bildgestaltung, darf durchaus auch etwas ungewöhnlich sein. Es muss auch nicht unbedingt schön sein, aber interessant. Eine Botschaft im Sinne von „die Moral von der Geschicht“ muss nicht sein. In Ihrer Tagung geht es auch um multimedialen Unterricht. Welcher Medien bedient man sich da? Verwendet werden Bilderbücher, Hörbücher, Filme. Was eine gute Sache ist, weil die Kinder merken, welche Unterschiede es gibt. Sie lernen beispielsweise, wie Spannung in unterschiedlichen Medien erzeugt wird. Beispielsweise, indem es in einem Buch heißt: „Er zitterte vor Angst.“ Sie können die Buchversion mit der Filmversion vergleichen und herausfinden: Im Film wird ein Spannungsmoment weniger durch Worte als vielmehr durch Musik und Bilder erzeugt. Wie heißt denn Ihr ganz persönliches Lieblingsbilderbuch? Es ist „Johanna im Zug“ von Kathrin Schärer, es handelt von einem Schweinchen, das mit der Bahn verreist und ist wunderbar illustriert. Handlung und Figurengestaltung sprechen Kinder sehr an. Im Buch wird aber auch mit Intertextualität, mit Metafiktion, mit Interpikturalität gearbeitet. Insgesamt ist das ganze Drumherum so anspruchsvoll, dass es auch Erwachsene begeistert. LESEZEICHEN „Johanna im Zug“ von Kathrin Schärer, 46 Seiten, Verlag Atlantis, ISBN-10: 3715205822, ISBN-13: 978-3715205823, 14,95 Euro.

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