Rheinpfalz Ummzz, ummzz

Wenn es um Techno-Musik aus Deutschland geht, darf einer nicht fehlen: DJ Westbam.

Als solcher mischt der 50-jährige Maximilian Lenz noch immer international die Partyszene auf. Ein Gespräch über Beats, Drogen und Altern in Würde. Ein Interview von Günter Keil

Herr Lenz alias DJ Westbam, Sie legen seit 30 Jahren Techno auf. Das geht nur mit Hörgerät, oder?

Zum Glück noch nicht. Mein Gehör ist relativ unzerstörbar. Wir DJs benutzen speziell angefertigte Ohrstöpsel, und als ich mir vor Kurzem neue machen lassen wollte, musste ich zum Hörtest. Sie sind kurz vor einem Hörschaden, sagte man mir nachher. Eigentlich ein Wunder, dass ich noch nicht taub bin. Wenn Sie auftreten, reißen Sie noch immer die Hände hoch, wippen mit, gehen in die Knie. Kommt Ihnen das in Ihrem Alter manchmal komisch vor? Ich gebe zu: Diesen Gedanken hatte ich auch schon mal. Aber dann stehe ich da oben im Club, die Beats knallen, das Publikum flippt aus, und ich vergesse mein Alter. Keine Angst, die Würde zu verlieren? Ich weiß schon, dass es manche Leute unhip finden, wenn einer mit 50 noch sein Ding durchzieht. Aber ich selbst habe schon immer Künstler bewundert, die im Alter noch besser wurden: Thomas Bernhard, Pablo Picasso, Marcel Duchamp. Allerdings ist das Nachtleben viel stärker von der Jugend geprägt als die Kunstszene. Stimmt. Clubbesucher bleiben ewige 20 Jahre alt. Im Nachtleben dauert eine Generation nur fünf Jahre, dann werden die Leute älter, machen Karriere, hören andere Musik, haben Familie und checken im Club aus. Nur Sie sind noch da. Ja, wie so ein Highlander, der alle anderen kommen und gehen sieht. Ich spüre natürlich, dass die Schere immer weiter aufgeht. Aber ich bin ja sowieso ein lebendes Lexikon der Jugendbewegung und muss nicht mehr jeden Scheiß mitmachen. Wie meinen Sie das? Meine Eltern waren Hippies. Mit den Idealen der 1960er-Jahre wuchs ich auf. Ende der 70er und Anfang der 80er war ich Punkrocker, da habe ich es in Berlin richtig krachen lassen. Dann kamen New Wave, New Romantic und Hip-Hop, bevor ich in den 90ern im Zentrum der Techno-Bewegung stand. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich nicht als Litfaßsäule einer Jugendbewegung herumlaufen muss, schon gar nicht mit 50. Finden Ihre Kinder Sie cool? Nein, natürlich nicht. Mein Großer ist auf dem Gymnasium, da muss er sich von anderen Schülern natürlich auch anhören, dass David Guetta viel cooler sei als Westbam. Mein Kommentar: Junge, lass dir nichts einreden! Aber im Ernst: Ich habe in dieser Hinsicht kein Sendungsbewusstsein. Die Techno-Kultur ist ohne Drogen kaum denkbar. Was haben Sie in den letzten drei Jahrzehnten probiert? Wir haben von allem genascht, schon aus Prinzip. Nur Heroin nicht, das war die Grenze. Ich gehöre ja zu der Generation, die mit Christiane F. sozialisiert wurde. Wir wussten also, dass wir alles nehmen durften außer Heroin. Davon habe ich zwar auch mal genascht, es aber nicht gespritzt. Ich habe mal in Schöneberg gelebt und dort von meinem Balkon aus jeden Tag Junkies beobachtet – so weit wollte ich nie gehen. Künstlerisch konnte sich kaum ein DJ so lange halten wie Sie. Meine Sets und meine Platten waren nie einfach nur ein Statement zum aktuellen Sound, zum gängigen Trend. Ich wollte immer etwas neu erfinden, Stile mischen, meine eigene Entwicklung vom Punk zum Techno aufgreifen. Je länger ich auflegte, umso wichtiger wurde mir auch, dass meine musikalische Geschichte für mein Publikum hörbar sein soll. Sie fließt in Zitaten ein. Und natürlich hört man das in meinen klassischen Achtelbasslinien, die stammen aus meiner Zeit als Bassist einer Punkrockband. Was war Ihr schlimmster Tiefpunkt? Tokio 1995. Damals habe ich mir während eines Auftritts den Fuß gebrochen, nicht zu fassen! Nach der Methode eines gewissen Doktor Omoto wurde mir für die Fahrt zum Flughafen mein Bein zusammengebunden, und da saß ich nun im Taxi mit der Aussicht auf drei Monate an Krücken. Da dachte ich: Das ist es jetzt, Schluss, aus. Ich nahm mir vor, Computer-Deejaying zu lernen und nie mehr live zu spielen. Warum machen Sie auch jetzt noch weiter? Sie könnten sich ein schönes Leben machen.  Ist nicht mein Ding. Wenn ich aber irgendwann einmal drei völlig verrittene Wochenenden hintereinander erleben sollte, dann höre ich auf. Bis jetzt waren es höchstens zwei, dann kam immer wieder ein Lichtblick. Sind Sie heute stolz darauf, dass Sie mit Techno eine neue gesellschaftliche Bewegung geschaffen haben? Wir haben immer geglaubt, dass wir der Gesellschaft den Techno gebracht haben – aber im Nachhinein muss ich auch sagen: Die Gesellschaft hat sich Techno ausgesucht. Warum? Weil sie sich am besten darin widerspiegeln konnte. Ohne den Fall der Berliner Mauer hätte Techno nie diesen Stellenwert erreicht. Diese Euphorie, „der Westen hat gesiegt, wir machen alle glücklich mit Demokratie und Wohlstand“, ist in der modernen westlichen Technomusik vollendet aufgegangen und wurde deswegen das Pop-Statement der 90er. Wird es auch in 20, 30 Jahren noch erfolgreiche Techno-DJs  geben? Aber sicher. Denn es wird immer junge Leute geben, die am Wochenende abtanzen wollen, und dieses ganze Boy-meets-girl-Ding wird es auch immer geben. Dazu brauchst du einen DJ und eine Form von Techno. Das ist wie beim Rock’n’Roll, der stirbt auch nie aus. Lou Reed hat mal gesagt, dass eine Gitarre und eine Stimme einfach nicht zu schlagen sind. Ähnliches gilt für zwei Turntables und einen DJ. Techno is here to stay! DJ Westbam: Bass erstaunt Er begann als Punk, wurde zur Techno-Ikone und verkaufte Millionen von Platten: Westbam alias Maximilian Lenz ist der erfolgreichste deutsche DJ. Er begründete den wegweisenden Szene-Treff „Mayday“  und legte als einziger DJ auf allen Love Parades auf. Noch immer beschallt  er  Clubs in  Berlin, London, Los Angeles oder Tokio. Westbam lebt in Berlin, ist verheiratet und hat zwei Kinder.  Westbam: „Die Macht der Nacht“. Autobiografie, Ullstein, 320 Seiten; 18 Euro.

x