Kultur Südpfalz Schicksal auf der Kippe

Lauter schrullige, kantige Typen. Die irische Literatur hat sie immer wieder in den Vordergrund gerückt und damit ein populäres Klischee geschaffen, dem auch die Komödie „Der Krüppel von Inishmaan“ von Martin McDonagh folgt. Im Staatstheater Karlsruhe ist das Stück nun in einer betont deftigen Inszenierung von Nicolai Sykosch zu sehen.

Sauf- und rauflustige Kerle, raubeinige Frauen, begnadete Schwätzer, melancholische Eigenbrödler, anarchische Fantasten, komische Helden und spinnerte Philosophen – man kennt sie aus irischen Stücken, in deren Geist und Tradition McDonagh, englischer Gegenwartsautor mit irischen Wurzeln, 1996 seine Trilogie über die Menschen auf den abgeschiedenen Aran-Inseln schrieb – unverwechselbare Charaktere, wie sie auf den rauen Inseln Irlands ein eigentümliches Leben führen. Die Karlsruher Inszenierung setzt das Stück, das in den 1930er Jahren spielt, auf einen riesigen Müllberg (Bühnenbild Stephan Prattes), der andeutet soll, dass hier Existenzen am Abgrund agieren. Unter Hinweis auf die notvolle Geschichte Irlands wird hier ein vergessenes Eiland im Abseits der Wohlstandsgesellschaft gezeigt. Dadurch bekommt die Aufführung eine historische soziale Komponente, die das Stück durch Zeigefingerei ein wenig überlastet und ihr doch eine doppelte Pointe beschert: Menschen auf der Kippe – in zwiefachem Sinne. Während sich aber die Leute von Inishmaan in ihrem trostlosen Trott längst eingefunden haben, unternimmt es allein Billy diese fatale Balance zu durchbrechen und die Kippe zu seinem Vorteil zu neigen. Meik van Severen spielt die anrührende Rolle des „Krüppels“ mit zwingender Kraft und einer Intensität, die alle Verstöße gegen politische Korrektheit vergessen lässt und das Porträt eines von Schicksal und Erleben geschundenen Helden wider alle Erwartung entwirft. Selbst das Scheitern seiner Träume gerät dabei zum Triumph unberührbarer Menschlichkeit und Seelengröße über Niedertracht und Unglück. Und wenn die Regie zum Schluss andeutet, dass es zum zarten Happy End eines ersehnten Spaziergangs mit Helen wohl nicht mehr kommen wird, weil der tödlich TB-kranke Billy vorher einem Blutsturz erliegen wird, mindert das nicht seine tragikomische Größe. Das Ensemble ist mit großem Elan und komödiantischem Feuer-, bisweilen wohl auch Übereifer dabei. In dem Bestreben, die Klischees der Figurenzeichnung als solche vorzuführen, erliegt die Regie den Gefahren der Parodie. Tatsächlich sind die Sonderlinge bei McDonagh keine Karikaturen, auch wenn solche Überzeichnung für Schauspieler verlockend erscheint. Am ehesten entgeht Sascha Tuxhorn als differenziert gezeichneter, menschlich glaubwürdiger Babbybobby der Klamauk-Falle, und Marthe Lola Deutschmann als Helen weicht ihr durch das wenig passende Muster einer aggressiven Großstadt-Göre aus. Aber Gunnar Schmidt als heftig outrierender „Newsman“ Johnnypateenmike, Eva Derleder als grell überdrehte Schnapsdrossel Mammy und Jonathan Bruckmeier als tumbes Süßmaul Bartley geben ihrem Gaudi-Affen überreichlichen Zucker. Auch bei Lisa Schlegel als betont rigoroser „Tante“ Eileen und Antonia Mohr als deren überherbem Gegenstück Kate wäre etwas weniger drolliger Überdruck schlüssiger gewesen. Das Publikum der Premiere fand an der komödiantischen Fettlebe, wie sie am spröden Karlsruher Schauspiel nicht eben häufig geboten wird, sichtliches Vergnügen und dankte dem Ensemble mit amüsiertem Beifall. INFO Nächste Vorstellungen sind für 31. März und 7. April vorgesehen. Karten und weitere Termine: Telefon 0721 933333, www.staatstheater.karlsruhe.de.

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