Rheinpfalz Löwenmütter kämpfen

In einer Art Willkürakt hat die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz einer Oberärztin der Kinderklinik am Lauterer Westpfalz-Klinikum die Ermächtigung entzogen, neurologisch erkrankte Kinder ambulant zu behandeln. Die Eltern haben sich zusammengeschlossen und gehen auf die Barrikaden.

Oberärztin Dagmar Dundurs betreut seit Jahren Kinder mit neurologischen Krankheiten. Bei ihnen sind Gehirn und Nervensystem geschädigt, sie leiden an Entwicklungsstörungen, Epilepsie, manche sind seit Geburt geschädigt, sitzen im Rollstuhl. Viele Patienten Dundurs’ kommen von der Reha Westpfalz. Seit über 25 Jahren behandelt die Oberärztin am Westpfalz-Klinikum diese Kinder, „weil es in Kaiserslautern und Umgebung keine Neuropädiater gibt“, konstatiert Gerhard Rupprath, der frühere Chefarzt der Kinderklinik, den sich die wütenden Eltern als kompetenten Berater ins Boot geholt haben. Viele Kinder sind Dauerpatienten, brauchen konstante Betreuung, Kontrolluntersuchungen, die teils ambulant erfolgen. Um sie behandeln zu dürfen, bedarf es eigentlich der Zusatzqualifikation „Neuropädiater“ − ein Kinderarzt, der sich auf Erkrankungen des Nervensystems spezialisiert hat. Diese Qualifikation hat Dundurs, wie viele Kinderärzte, nicht. Aufgrund ihrer Erfahrung wird ihr jedoch alle zwei Jahre von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eine Ermächtigung für die Behandlung erteilt: Seit zehn Jahren und so am 1. Juli wieder von der regionalen KV Pfalz. Dann hat sich die KV Rheinland-Pfalz in Mainz eingeschaltet. Mit sofortiger Wirkung hat die übergeordnete KV der Ärztin die Ermächtigung entzogen. Die Kinder standen von einem Tag auf den anderen ohne Versorgung da. Dagmar Dundurs hat Widerspruch eingelegt: Da für Oktober ein Berufungstermin vor dem KV-Berufungsausschuss in Koblenz angesetzt sei, will sich die Ärztin zurzeit „aus Respekt vor der anstehenden Entscheidung“ nicht äußern. Jetzt gehen Eltern auf die Barrikaden. Sylvia Weis aus Obernheim-Kirchenarnbach (Kreis Südwestpfalz hat eine Elterninitiative ins Leben gerufen, der sich 29 Familien angeschlossen haben. Mit Ehemann Heiko bombardiert sie jeden, von dem sie sich Hilfe verspricht, mit Briefen, Anrufen, E-Mails. Selbst an die Bundeskanzlerin hat sie sich gewandt. Das Ehepaar hat zwei Töchter, die neunjährige Anna-Lena ist Patientin der Oberärztin. Vor zweieinhalb Jahren hatte sie ihren ersten Krampfanfall: eine gutartige Form von Epilepsie, die wieder verschwinden kann, aber auf jeden Fall behandelt werden muss. Für die Eltern, aber auch die Tochter war dieser Anfall ein tief prägendes Angsterlebnis, ein Trauma: „Mein Kind stirbt und ich kann nichts tun.“ Das Mädchen wurde damals auf ein Medikament eingestellt. Mutter Sylvia Weis lag nach dem bedrohlichen Erlebnis zwei Wochen im Krankenhaus, war gelähmt vor Angst. Yvonne Schwarz aus Aschbach im Kreis Kusel, Mutter von fünf Kindern, fiel aus allen Wolken, als die Ambulanz der Kinderklinik den im Mai vereinbarten Termin für ihren fünfjährigen Sohn Mitte August absagte. Beide Mütter haben inzwischen ihre Kinder stationär in der Kinderklinik untersuchen lassen. Denn stationär darf Dundurs neurologisch erkrankte Kinder weiterbehandeln. Privat versicherte Kinder sind vom KV-Behandlungsverbot sowohl ambulant als auch stationär ebenfalls ausgenommen, da sie keine Überweisung benötigen. Die KV Mainz hat den Eltern eine Liste geschickt mit 31 Adressen von niedergelassenen Kinderärzten und Kliniken, zu denen sie gehen dürfen. Yvonne Schwarz wurde vorgeschlagen, nach Ludwigshafen zu fahren – für die Frau aus Aschbach ein Ganztagsprojekt: drei, vier Stunden Fahrt plus drei Stunden ärztliche Untersuchung. „Wie soll ich das mit fünf Kindern hinkriegen?“ Sie hat gegen die KV Beschwerde eingelegt. Sylvia Weis hat einen Mini-Job, ihr Mann arbeitet, besucht nebenher die Meisterschule. Erschwerend kommt hinzu: Zum Teil gibt es Wartezeiten bis Ostern. Sylvia Weis hat die Liste abtelefoniert. Von 31 niedergelassenen Ärzten haben nur 14 den geforderten Schwerpunkt „Neuropädiater“. Nur in zwei Praxen sei ihr ein zeitnaher Termin angeboten worden. Einer habe sofort nach der Krankenversicherung der Tochter gefragt, ein anderer wollte vor der Untersuchung erst eine Besprechung. Weis hätte die Strecke zweimal fahren müssen. Von wohnortnaher Versorgung könne bei den Adressen quer durch Rheinland-Pfalz sowieso nicht gesprochen werden. Vom KV-Verbot betroffen sind 440 Kinder im Jahr, weiß Rupprath. Hinzu kommt, so hat er eruiert, dass von den 31 Kinderärzten, die die KV Mainz als Alternative vorgeschlagen hat, 14 keine Neuropädiater sind, sondern wie Dundurs „nur“ KV-ermächtigt. Die KV hat einen gesetzlichen Versorgungsauftrag, so Rupprath, sie muss gewährleisten, dass Patienten in der Region versorgt werden können − angemessen, zeitnah. Die Eltern sind wütend, verzweifelt, aber entschlossen: „Wir kämpfen. Wir möchten Dundurs behalten.“ Das Nein der KV halten sie für menschenverachtend. Die Löwenmütter fahren ihre Krallen aus. (ita)

x