Rheinpfalz Gut in Form

Junge Männer legen sich neuerdings gerne unters Messer – beim Barbier. Salons, in denen neben der Rasur auch eine Whiskybar auf die Kunden wartet, sind die neuen Wellness-Oasen für echte Kerle.

Doch egal, wie lang oder kurz der Bart ist, ohne Pflege geht es nicht. Deshalb legen sich immer mehr Männer unters Messer – beim Barbier. Von Hamburg über Berlin bis München eröffnen Herrensalons, die das Handwerk der Nassrasur neu entdeckt haben. Einer ist der „Barbershop“ in bester Hamburger Innenstadtlage. Im Salon von Kay Meinecke fühlt sich der Kunde ins frühe 20. Jahrhundert zurückversetzt. Das Holzmobiliar aus dem Jahr 1904 diente einst einem Wiener Friseur als Arbeitsausstattung, bevor es bis vor wenigen Jahren im Privatmuseum der Firma Schwarzkopf in Hamburg verstaubte. In den herb-frischen Duft von Rasierwasser mischt sich der Geruch nach kaltem Zigarettenrauch. Wie in anderen Rasiersalons gibt es bei Kay Meinecke eine kleine Bar, in der sich Whisky- und Cognacflaschen aneinanderreihen, und die Zeitschriftenauswahl bedient männliche Vorlieben. Rasiert wird mit dem Messer, das allerdings nicht mehr über den Lederriemen gezogen wird, sondern mit Wechselklingen ausgestattet ist. Der Friseurmeister betreibt in der Hansestadt eine Kette mit 20 Salons und suchte vor acht Jahren nach einer neuen Herausforderung. Was lag da für einen Bartträger näher, als die Kunst der Nassrasur wieder zu etablieren? Deutschland gehöre in Europa zwar nicht zu den Trendsettern wie etwa Großbritannien oder Schweden. „Aber Trends werden hier sehr schnell übernommen und auch wieder gewechselt“, hat Meinecke beobachtet. Im Gegensatz etwa zu den südeuropäischen Ländern und der Türkei, wo das Barttragen und der Gang zum Barbier nie aus der Mode kamen. Ein Grund, warum vor allem türkische Friseure jahrzehntelang die von Gilette und Co. gerissene Lücke in deutschen Innenstädten füllten. In den Rasiersalons im Retro-Look gönnen sich auch junge Bartträger gerne eine Auszeit. Für den 19-jährigen Kerem gehört die Nassrasur mit dem Messer zum Barttragen dazu. „Es ist einfach cool, den Bart mit dem Messer in Form zu bringen“, sagt der junge Mann. Seit zwei Jahren lässt es der gebürtige Grieche im Gesicht sprießen. Zunächst nur unterm Kinn, inzwischen als Vollbart. „Mir gefällt mein Gesicht erst mit Bart richtig gut“, sagt er. Außerdem sehe man mit Bart einfach erwachsener aus. Dieser Aspekt dürfte für viele junge Bartträger der Hauptgrund sein, ihr Gesichtshaar wuchern zu lassen: Es verhilft zu Männlichkeit. Gleichzeitig führt die neue Lust am Bart bei jungen Männern zu skurrilen Auswüchsen: Während sie ihrer übrigen Körperbehaarung mit Wachs und Rasierklinge zu Leibe rücken, sind die Gesichtsstoppeln kein Problem. Die einen zelebrieren damit ihre vorhandene (oder eingebildete) Unangepasstheit und gesellschaftliche Verweigerungshaltung. Die anderen tragen den in Form gebrachten Bart als modisches Accessoire wie ein Tattoo oder ein Piercing. Für die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz ist der Bart eine Rückbesinnung auf klassische männliche Rituale, die neue Form relaxter Männlichkeit, der souveräne Umgang mit Sensibilität. Und so sehen die Kunden des „Barbershops“ ihren Aufenthalt dort weniger als notwendiges Übel der Bartpflege denn als einen kurzen Wellness-Aufenthalt. Bei Kay Meinecke dauert eine Nassrasur rund 25 Minuten. Zu Anfang wird der Bart mit einer warmen Kompresse aufgeweicht. Auch gut aufgeschäumte und mit einem Dachshaarpinsel aufgetragene Rasierseife hilft, den Bart weicher zu machen. Erst nach einer Einwirkzeit von mehreren Minuten beginnt die Rasur. „Dann erst wird die Haut nicht mehr gereizt“, erklärt der Fachmann. Rasiert wird erst mit dem Haarwuchs, dann in die andere Richtung. Nach der Rasur verhindern eiskaltes Wasser und ein Aftershave mit Alkohol Hautreizungen. Beides sorgt dafür, dass sich die Haut zusammenzieht und die Barthaare beim Nachwachsen nicht umknicken und einwachsen. Barbier Kay Meinecke sieht großes Potenzial für Rasiersalons. „Männer pflegen sich mindestens genauso gerne und intensiv wie Frauen“, sagt er. Doch fehle für Männer häufig das richtige Wellness-Angebot. Und: „Die Männer von heute können sich nicht richtig nass rasieren“, meint der 44-Jährige. Es bringe ihnen einfach niemand mehr richtig bei. In Zeiten entspannter Männlichkeit sollte sich das aber schleunigst ändern. Denn eines ist sicher: Die Hälfte der Frauen mögen zwar Bärte. Aber nur, wenn sie gepflegt sind.

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