Rheinpfalz Über den Dächern von Mannheim

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Mannheim. Den Turmbläsern der Mannheimer Konkordienkirche zu lauschen, kann der krönende Abschluss eines Geschenke-Kauf-Marathons sein. Zwei Trompeter und zwei Posaunisten des Orchesters des Mannheimer Nationaltheaters haben am Samstag auf dem Kirchturm Weihnachtslieder gespielt, während die Menschen unten kräftig mitgesungen haben.

Um die Konkordienkirche haben sich schon jede Menge Leute versammelt. Viele haben Einkaufstüten vor sich auf dem Boden stehen und entweder eine Tasse Glühwein oder einen Liedzettel in der Hand. Sie schauen erwartungsvoll nach oben zum Turm. Kurz nach 17 Uhr erklingen die ersten Töne von „Macht hoch die Tür’, die Tor macht weit“, und die Menschen stimmen ein. Sie säumen die Gehsteige rund um die Kirche und singen. Mancher Passant huscht etwas überrascht vorbei, andere bleiben stehen und machen kurzentschlossen mit. Das weihnachtliche Turmblasen hat Tradition in der evangelischen Gemeinde der Konkordienkirche. Nach langer Pause wurde sie vor sieben Jahren wiederbelebt. Initiator war Manfred Schäfer. Er trat an den damaligen Pfarrer Peter Annweiler heran und schlug vor, das Turmblasen erneut zu organisieren. Dabei standen drei Fragen im Raum: Wer soll musizieren, wie wird das finanziert und ist das überhaupt noch zeitgemäß? Die ersten beiden Hürden ließen sich verhältnismäßig leicht überwinden. Zwei Trompeter und zwei Posaunisten aus dem Orchester des Mannheimer Nationaltheaters wurden verpflichtet, die Kosten trug Schäfer. „Wir wussten allerdings nicht, wie das ankommen würde“, erinnert er sich. „Doch die Begeisterung der Menschen war Antwort genug.“ Seit dem ersten Auftritt der neuen Turmbläser seien jedes Jahr mehr Menschen gekommen, sagt der Geschäftsführer einer Mannheimer Zeitarbeitsfirma. Etwa 500, schätzt er, sind es diesmal. Für Schäfer sind die Turmbläser eine Kindheitserinnerung: „Meine Mutter hatte ein Geschäft in S 4 und wir hatten natürlich am 24. Dezember noch geöffnet. Wenn dann die Turmbläser begannen zu spielen, schloss meine Mutter den Laden zu, und ich wusste: Jetzt ist Weihnachten.“ Die Besetzung der Blechbläser variiert. Diesmal haben Rüdiger Kurz (Trompete), Martin Hommel (Trompete), Thomas Busch (Posaune) und Ulrich Lampe (Posaune) den Turm erklommen. Sie stimmen unter anderem „Tochter Zion“, „Es ist ein Ros’ entsprungen“ und „Hark! The Herald Angels sing“ an. „Das macht einfach großen Spaß“, erklärt Martin Rommel. „Wir spielen Weihnachtslieder und haben einen schönen Ausblick über Mannheim.“ Den Gesang der Menschen von unten hören sie zwar nicht, doch er dürfte lauter gewesen sein als sonst: „Wir haben zum ersten Mal Liedzettel“, sagt Pastorin Anne Ressel. In der Alten Sakristei schenken derweil freiwillige Helfer der Kirchengemeinde selbst gekochten Glühwein aus. Das Rezept stammt von Detlef Schmidt, einem ehemaligen Winzer. „40 Liter haben wir herausgegeben“, erzählt er. Man habe sogar noch mal schnell nachkochen müssen, so groß sei der Andrang gewesen. Dazu gibt es Lebkuchenplätzchen, die Pastorin Ilka Sobottke gebacken hat. Viele Zuhörer lauschen den Turmbläsern schon seit Jahren. Gerda Micheel ist extra aus Neckarau in die Innenstadt gekommen. „Das ist wundervoll und erinnert mich an meine Jugend in Westfalen. Da gab es das auch“, erzählt sie. „Und wenn dann noch der Mond scheint so wie heute, ist das einfach toll.“ Tradition kann also durchaus zeitgemäß sein.

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