Sport Ein Spiel auf Leben und Tod

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Dortmund. Am Ostermontag klingelte das Telefon bei einem Fan des BVB. Er sei ja häufiger Gast im Mannschaftshotel von Borussia Dortmund, sagte der Anrufer, ein Ermittler. Auch als der Verein am 8. März in der Champions League gegen Benfica Lissabon gespielt habe, sei er im „L’Arrivée“ gewesen. Ob ihm da etwas aufgefallen sei? Etwas, was anders war als sonst? Jemand, der sich merkwürdig benahm? Der Hotelgast verneinte. Das hatte er auch schon am 11. April getan, an dem Abend, als vor dem Hotel drei Sprengsätze explodiert waren und er direkt nach der Rückkehr aus dem Stadion befragt worden war. Ein Spiel hatte es nicht gegeben. Die Partie gegen AS Monaco war abgesagt worden. Seit gestern kann sich der Hotelgast einen Reim auf all die Fragen machen. Vermutlich war es der Festgenommene, der schon im März auskundschaftete, wie das abläuft, wenn die BVB-Profis zu einem Heimspiel der Champions League fahren. Vermutlich war er es, der die Bomben aus seinem Zimmer im Dachgeschoss zündete. Von dort sah er die Straße ein, die vom Parkplatz führt. Die drei Bomben sollten wahrscheinlich töten, um Geld zu verdienen, viel Geld. Gestern in der Früh nahmen Beamte der Spezialeinheit GSG 9 den 28-Jährigen im Raum Tübingen auf dessen Weg zur Arbeit vorläufig fest. Ihm werden versuchter Mord, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Ein Polizist und BVB-Verteidiger Marc Bartra waren bei dem Anschlag verletzt worden. Am Nachmittag wurde der Beschuldigte dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt, der den Haftbefehl erließ. Es gebe „keine Anhaltspunkte für Gehilfen oder Mittäter“, sagte Frauke Köhler als Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Drei textgleiche Bekennerschreiben waren schnell am Tatort gefunden worden. Sie sollten den Verdacht nahelegen, es handele sich um islamistisch motivierten Terror. Die rechte Szene? Die eigenen Fans? Es gab wilde Spekulationen und krude Theorien. Die Ermittler waren schnell auf der Fährte, die nun zur Festnahme führte. Nach RHEINPFALZ-Informationen wurde der Deutsch-Russe mindestens seit Karfreitag überwacht, sein Telefon seitdem abgehört. Die Bundesanwaltschaft nannte gestern Einzelheiten des Kriminalfalls. Der Mann hatte demnach schon Mitte März das Zimmer gebucht. Zwei Tage vor dem Anschlag zog er ein. Ein paar Stunden vor dem geplanten Anstoß des Spiels kaufte er sich über den Server des Hotels im elektronischen Handel 15.000 Optionsscheine. Das Geld dafür hatte er sich über einen Kredit in Höhe von „mehreren zehntausend Euro“ besorgt, so Frauke Köhler. Es waren Put-Optionen, hochspekulative Papiere. Der Mann setzte auf fallende Kurse, dramatisch fallende. Je tiefer, desto besser für ihn. Die Aktie des BVB notierte am 11. April mit durchschnittlich 5,61 Euro. Der Beschuldigte hätte mehr als drei Millionen Euro abkassiert, wenn das Papier auf etwa einen Euro gefallen wäre. Darauf soll er gesetzt haben. Ein solcher Kursverlust wäre nur realistisch gewesen, wenn es einen oder mehrere Tote gegeben hätte. Die ARD-Börsenredaktion wies schon am Tag nach dem Attentat auf eine auffällige Bewegung am Finanzmarkt hin. Es seien Optionsscheine gekauft worden, die auf einen oder mehrere Käufer hinwiesen, die „entweder extrem unerfahren“ seien oder aber einen „extremen Kursabsturz erwartet“ hätten. Die Ermittler waren dem Beschuldigten durch diese „auffälligen Optionsgeschäfte“ auf die Spur gekommen. Tatsächlich verlor das Papier des einzigen an der Börse notierten Fußballvereins in Deutschland am Tag des Anschlags ein bisschen an Wert. Am nächsten Tag, als das Spiel gegen Monaco nachgeholt wurde und für den BVB mit 2:3 verloren ging, stieg es jedoch wieder an. „Dass es keine weiteren Verletzten oder gar Tote gab, war – wie wir heute wissen – ausschließlich großem Glück geschuldet“, teilte der BVB gestern mit. Das „Glück“ bestand laut der Ermittler hauptsächlich darin, dass der mittlere Sprengsatz im Gegensatz zu den anderen beiden nicht auf dem Boden, sondern in etwa einem Meter Höhe in einer Hecke deponiert worden sei: Damit war er zu hoch angebracht, um seine Wirkung voll entfalten zu können. „Wir hoffen, dass in dem Tatverdächtigen nun der Verantwortliche für den niederträchtigen Anschlag auf unsere Spieler und Staff-Mitglieder gefasst werden konnte“, schrieben BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Präsident Reinhard Rauball in einem Dankesbrief an die Ermittler.

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