Sport Die Wochenend-Kolumne: Ich bin der Meinung, ...

Oliver Wehner

Seit dem 4. Dezember, dem Tag der beispiellosen Dreifach-Entlassung von Cheftrainer Sean Simpson, Assistenzcoach Colin Müller und Sportmanager Teal Fowler, gab’s in der Eishockey-Hochburg Mannheim so etwas wie zwei verschiedene Welten, parallel zueinander. In der einen musste eine bis dato verkorkste Saison sportlich noch irgendwie gerettet werden, was dem neuen Trainer Bill Stewart nach zunächst herben Rückschlägen bis jetzt gelungen ist. Dass die direkte Viertelfinalqualifikation im Kampf um die deutsche Meisterschaft geklappt hat, ist schon bemerkenswert und hat bereits viele im Dezember noch völlig desillusionierte Fans wieder mit ihren Stars versöhnt – ganz wichtig für den Schulterschluss zwischen Team und Anhängern in der wichtigsten Saisonphase, den am Mittwoch so richtig beginnenden Play-offs. Und wichtig auch, dass die zeitweise fast surreale Auswärtsschwäche abgelegt wurde. Zur Erinnerung: Play-off-Gegner ERC Ingolstadt beginnt die Serie zu Hause, und auch ein im Extremfall entscheidendes siebtes Spiel wäre in Bayern. So oder so: Mindestens einen Sieg in der Fremde werden die Adler benötigen. In der anderen Parallelwelt mussten perspektivische Entscheidungen getroffen werden in einem Umfang, wie ihn die Adler wohl seit 1996, dem Sommer nach dem für den Profisport folgenschweren sogenannten Bosman-Urteil, nicht mehr erlebt haben. Die Klubchefs Daniel Hopp und Matthias Binder sowie der fürs operative Geschäft reaktivierte Ex-Manager und Sportdirektor Marcus Kuhl mussten einen Berg an extrem wichtigen Personalthemen abarbeiten: neues Trainerduo (Pavel Gross und Mike Pellegrims), neuer Manager (Jan-Axel Alavaara), neuer Teamleiter (Youri Ziffzer), wegweisende Vertragsverlängerungen (die Topscorer Chad Kolarik und Phil Hungerecker) sowie sicher auch neue Spieler. Da wurde ein Klub in wenigen Wochen „auf links“ gedreht und das doch vergleichsweise geräuscharm. Das Fingerspitzengefühl und die Kontakte des erfahrenen Könners Marcus Kuhl, der die Adler zu fünf Meisterschaften plante, haben hier ganz sicher nicht geschadet. Ums gleich klarzustellen: Meine Verehrung den Herren Kühnhackl, Kießling, Reindl, Funk oder Weishaupt – Eishockey-Idole meiner Kindheit. Und trotzdem: Dass seit zwei Wochen das olympische Silberwunder von Pyeongchang jene Bronzemedaille von Innsbruck 1976 überstrahlt, ist ein Segen. Denn mitunter wurde jener Triumph in Tirol doch etwas verklärt. Dabei waren die Vorzeichen sogar ähnlich wie nun in Südkorea. Die Profis der besten Eishockey-Liga der Welt, der NHL, fehlten auch damals, denn das Olympiaturnier galt ja noch als „Amateur“-Wettbewerb. Kanada und Schweden waren gar nicht dabei, die USA trat mit einer – wie mein Eishockey-Lehrmeister, der ehemalige RHEINPFALZ-Sportchef Volker Schroeter, empört behauptete – „Thekenmannschaft“ an. Jene US-Boys bezwang die deutsche Mannschaft im letzten Spiel 4:1 und stiefelte danach dennoch enttäuscht in die Kabine. Das Torverhältnis sprach nämlich für Finnland, aber entscheidend war ein dubioser Torquotient, von dem kaum jemand etwas wusste. Am Ende hatte Deutschland mit 0,041 Treffern Vorsprung Bronze. Auch wenn nun 42 Jahre später selbst ein deutsches Team mit seinen NHL-Profis die „richtigen“ Kanadier um Sidney Crosby – und nicht ein zusammengewürfeltes Legionärsteam – im Halbfinale nie geschlagen hätte: Dass Marco Sturms verschworene Einheit im Finale den Russen aus der KHL, immerhin der zweitbesten Liga der Welt, standhielt, sagt alles über die Klasse dieser Mannschaft. Die sich bei der WM im Mai in Dänemark trotzdem wieder brav einreihen muss mit dem realistischen, aber jedes Jahr aufs Neue ambitionierten Minimalziel Viertelfinale.

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