Saach blooß – die Dialektserie „Anunfersich“ ist das eine gute Idee ...

 „An(un)fersich“ lässt sich so auch angeln, aber ...
»An(un)fersich« lässt sich so auch angeln, aber ...

Wenn im Gespräch auf Pfälzisch die Formulierung „an(un)fersich“ zum Einsatz kommt, ist nichts, wie es scheint. Denn es folgt fast immer ein „aber“. Und dann geht’s um Hindernisse, Vorwürfe und Ausreden.

„Anfersich ess ich jeden Daach mei Vollkornbrot, awwer heit hawwich en Weck mit Butter un Honig hawwe wolle.“ (Gertraud Hanewald, Flomersheim)

„Anunfersich hette mer um zwölfe fortgehe wolle, awwer jetzt isses halwer äns un du bischt immer noch net ferdisch.“ (Gerhard Foltz, Dudenhofen)

„Anunfersich geht mer’s gut, awwer mei Kreiz ...“ (Rudi Röller, Hatzenbühl)

An und für sich müsste unsere heutige Folge der Dialektserie „Saach blooß“ beim lateinischen „per se“ beginnen oder noch früher beim altgriechischen „kath’auto“. An und für sich müssten wir über Philosophen wie Aristoteles, Kant, Hegel oder Sartre schwadronieren und wie sie die Formulierungen „an sich“ und „für sich“ benutzten, die auf „kath’auto“ und „per se“ zurückgehen. An und für sich müsste es heute also um absolut Wesentliches gehen: um das Wesen von Gegenständen oder Tatsachen unabhängig vom menschlichen Bewusstsein.

„Anunfersich“ ist heute Waschtag. Aber wer darf zuerst in die Brenk?
»Anunfersich« ist heute Waschtag. Aber wer darf zuerst in die Brenk?

Aber zum Glück gibt es kein „an und für sich“ ohne ein „aber“. Und dieses „aber“ führt uns direkt in die Pfalz und zum Pfälzischen.

Anunfersich kammer in de Palz nit verdorschte

Im Pfälzischen sind die hochdeutschen Formeln „an sich“ und „für sich“ verschmolzen zu „anunfersich“, „anenfersich“ oder „anfersich“. Und betrachtet man den pfälzischen Sprachgebrauch etwas genauer, dann liegt der Schluss nahe: Die ursprünglichen Wörter „an sich“ und „für sich“ werden in der pfälzischen Kurzversion gar nicht mehr mitgedacht. Der Pfälzer vermeidet auf diese Weise „jeglichen Anschein intellektueller Überheblichkeit“, schreibt Klaus Gröschel aus Neustadt: „Wo mancher hochdeutsche Besserwisser lang und breit vom Wesen oder Sein doziert, gar mit Latein aushelfen muss, um von der Entität zu reden, bringt es der Pfälzer kurz und klar auf den Punkt.“ Und trotz dieser Verkürzung, argumentiert der Leser, gelinge in der Pfalz die Unterscheidung des Grundsätzlichen vom Zufälligen. Denn: „Anunfersich kannscht du in de Palz net verdorschte.“ Und das, meint Klaus Gröschel, kann ja wohl kaum ein Zufall sein. Seiner Ansicht nach berührt die Formulierung „anunfersich“, die „Saach blooß“ für diese Folge zur Debatte gestellt hat, „mal wieder ganz vortrefflich das Pfälzer Wesen“ – was auch immer damit gesagt sein will.

Die Bedeutung verschwimmt
„An(un)fersich“ ein praktischer Stuhl. Aber wenn man auf dem „Schnäpperle“ sitzt ...
»An(un)fersich« ein praktischer Stuhl. Aber wenn man auf dem »Schnäpperle« sitzt ...

Die philosophischen Ursprünge des „an sich“ und des „für sich“ scheinen im Pfälzischen zwar noch leicht durch. Denn auch bei „an(un)fersich“ geht es um einen wahren Kern oder um etwas Wahres unabhängig von der tatsächlichen Erfahrung. Aber auf keinen Fall wird mehr eine Unterscheidung getroffen zwischen „an sich“ und „für sich“. Es wird überhaupt nicht mehr philosophoiert. Bei der Dialektversion geht es längst um etwas anderes und naturgemäß viel Schlichteres: So wie die einzelnen Wörter in der pfälzischen Verkürzung verschwimmen oder gar verschwinden, engt sich auch die Bedeutung ein. Es geht nicht mehr in erster Linie um die Frage nach dem Kern oder dem wahren Wesen einer Sache, eines Menschen oder eines Umstands. Das „an(un)fersich“ dient vielmehr dazu, einen Widerspruch zu verdeutlichen oder einen Gegengrund zu liefern. Was auch der Grund dafür ist, dass „anunfersich“ immer ein „aber“ zur Folge hat, wie Waltraud Pallasch aus Zweibrücken schreibt. Ihr Beispiel: „Anunfersich ess ich gern Persching (Pfirsiche), awwer der do is mir noch zu hart.“ Tatsächlich ist im Pfälzischen das, was nach dem „aber“ kommt, wichtiger als das „anunfersich“. Es geht um die wirkungsvolle Präsentation von Hindernissen, Ausreden und Vorwürfen.

„Anfersich is des en tolle Mann, awwer ... “

„Anunfersich is alles gut, awwer ...“, schreibt Claus Becker aus Mauchenheim. Soll heißen: Nichts ist wirklich gut. „Die Karin un die Elke vun de Haßlocher Sparkass“ erklären: „Wir sagen ,anfersich’ und meinen damit, dass man die Dinge aus eigener Sicht betrachtet. ,Ich bin net doiner Meinung, awwer anfersich hoscht recht’. Oder: ,Anfersich is des en tolle Mann, awwer mit häämnemme mecht ich en net.“

Nur hin und wieder wird „an(un)fersich“ auch ohne nachfolgendes „aber“ eingesetzt, aber dann ebenfalls eher nicht im Guten. Jemand verweist stolz auf eine erledigte Arbeit und bekommt zu hören: „Anunfersich hett mer des äch schun geschtern mache kinne“. Wie das „äch“ verdeutlicht, eine Einsendung aus dem südpfälzischen Hatzenbühl, und zwar von Ruth Metz.

„Anunfersich“ ist es gut, wenn der Handwerker Zeit hat. Aber wenn die „Lambrie“ dann so aussieht ...
»Anunfersich« ist es gut, wenn der Handwerker Zeit hat. Aber wenn die »Lambrie« dann so aussieht ...

Für die Rückübersetzung des pfälzischen „An(un)fersich“ ins Hochdeutsche braucht es keine philosophischen Anstrengungen: „Eigentlich“ lautet eine Übersetzung, schreibt Bertram Steinbacher aus Lingenfeld: „Anfersich langt’s jo fer heit, awwer ään Schorle geht vielleicht doch noch.“ „Im Grunde genommen“, lautet eine weitere von Marion Schwarz aus Annweiler. „Der Sepp esch anunfersich en feine Kerl, awwer er will halt nix schaffe“, berichtet Rudi Röller aus Hatzenbühl. „Isoliert betrachtet“ oder „objektiv gesehen“ sind weitere mögliche Bedeutungen von „anunfersich“.

Nächstes Mal wird „getrippelt“

„Anenfersich“ ließe sich noch Vieles ausführen zum pfälzischen „an und für sich“, aber eigentlich ist alles Wesentliche gesagt. Weshalb uns – nach einem Dankeschön an alle Mitmacherinnen und Mitmacher für die vielen originellen Einsendungen – nur noch die Frage für die nächste Folge bleibt.

Diese soll dem Wort „tripple“ gewidmet sein. Wer „trippelt“ wann und aus welchem Grund? Was bedeutet es, wenn jemand sagt: „Heer uff se tripple!“ Und wer kennt vielleicht sogar noch das Hauptwort „Tripp“ („Frieher hawwich als bei de Oma uff’m Tripp g’schloofe“)? Wir fragen: Verwenden Sie die Wörter? Wann haben Sie sie zuletzt gehört? Wo kommen sie her? Schreiben Sie uns!

Unter dem Motto „Saach blooß“ ergründen wir den Ursprung von originellen Redensarten und Wörtern aus der Pfalz und die Geschichten dahinter. Wir tun das mithilfe unserer Leserinnen und Leser, ihres Sprachschatzes, ihrer Erfahrungen und Erinnerungen. Schreiben Sie uns also unter dem Kennwort „Saach blooß“ an: RHEINPFALZ am SONNTAG, Amtsstraße 5-11, 67059 Ludwigshafen, Fax: 0621/5902-613, E-Mail: saachblooss@ rheinpfalz.de

256 Folgen von „Saach blooß“ auf knapp 580 Seiten gibt’s im großen Buch zur Serie – Stichwortverzeichnis mit 2000 Pfälzer Begrif
256 Folgen von »Saach blooß« auf knapp 580 Seiten gibt’s im großen Buch zur Serie – Stichwortverzeichnis mit 2000 Pfälzer Begriffen und Redensarten inklusive.

Dieser Artikel stammt aus der RHEINPFALZ am SONNTAG, der Wochenzeitung der RHEINPFALZ. Digital lesen Sie die vollständige Ausgabe bereits samstags im E-Paper in der RHEINPFALZ-App (Android, iOS). Sonntags ab 5 Uhr erhalten Sie dort eine aktualisierte Version mit den Nachrichten vom Samstag aus der Pfalz, Deutschland und der Welt sowie besonders ausführlich vom Sport.

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