Rheinland-Pfalz Kolumne: Wie die Menschen von Kardinal Lehmann Abschied nehmen

Zum Gedenken an Kardinal Lehmann: Trauerflor an den Fahnen am Mainzer Dom.
Zum Gedenken an Kardinal Lehmann: Trauerflor an den Fahnen am Mainzer Dom.

Mein Mainz: Wie die Menschen vom aufgebahrten Kardinal Karl Lehmann Abschied nehmen

Die Augustinerstraße ist das Herz der Mainzer Altstadt mit ihrem Kopfsteinpflaster, den Weinstuben, Boutiquen, einem Edel-Italiener und dem Frankfurter Hof als Veranstaltungsort. Mittendrin steht die Augustinerkirche. Würde ihr Portal nicht ganz leicht vorragen, der schöne Bau fiele in der Häuserreihe gar nicht auf. Aber in den vergangenen Tagen ist die Kirche regelrecht zum Pilgerort geworden. Denn dort ist der Leichnam von Kardinal Karl Lehmann bis zu seiner Beisetzung heute aufgebahrt.

33 Jahre als Bischof in Mainz

Lehmann vertrat zwei Jahrzehnte lang als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die Katholiken in Deutschland, in Mainz wirkte er 33 Jahre als Bischof. „Unsern Karl“ sagen ältere Mainzer. Das klingt vielleicht despektierlich, zeugt aber, wer die Mentalität der Rheinhessen kennt, von Zuneigung und Anerkennung. Ein Kollege erinnert sich an eine Fasnachtssitzung, in der das Gerücht eines möglichen Wechsels Lehmanns nach Rom zum Thema wurde. Spontan habe sich das Publikum erhoben und gesungen: „Mer losse ’nen net gehe.“ Lehmann war beliebt. Anerkannt als intellektueller und streitbarer Kirchenmann und als den Menschen zugewandter Seelsorger. Vor der Kirche stehen drei Polizisten, die sich locker auf Gespräche mit Passanten einlassen und sagen, dass ihre Präsenz mehr eine Ehrerbietung denn ein Bewachen sei. Vorgefallen sei in diesen Tagen der Totenwache nichts. Mit meinem jungen Kollegen reihe ich mich ein in die lange Schlange der Menschen, die sich von Lehmann verabschieden. Durch die gelben Fensterscheiben oberhalb des Altars dringt warmes Licht in die Kirche. Die Reihen sind auch an diesem Werktag voll besetzt, gleich beginnt das tägliche Requiem während der Aufbahrungszeit.

Tafel mit Verhaltensregeln

Am Eingang hat das Bischöfliche Ordinariat eine Tafel mit Verhaltensregeln aufgestellt. Diskrete Fotos seien erlaubt, aber die Besucher sollten doch bitte keine Selfies machen. Eine freundliche Mahnung. Manche der Generation „Selfie“ erinnern sich noch, als sie 2009 vom Kardinal zu „1000 Kinder feiern 1000 Jahre Mainzer Dom“ eingeladen waren. Ein Gewimmel und Gewusel – und die knarzende Stimme Lehmanns. Sie ist, ebenso wie sein lautes Lachen, nur eine ferne Erinnerung in dem Moment, als ich vor dem Leichnam stehe. Er ist mit all seinen Insignien der Bischofswürde ausgestattet und wirkt doch fremd. Aber die Situation ist würdig, um Abschied zu nehmen. Auf dem Rückweg durch die trubelige Altstadt unterhalten wir uns über Gott und die Welt und den Tod – wie so viele in Mainz in diesen Tagen. DIE KOLUMNE Karin Dauscher, Jahrgang 1966, ist Korrespondentin im Mainzer RHEINPFALZ-Büro. Mit ihrer vierköpfigen Familie lebt sie in der Landeshauptstadt. In ihrer monatlichen Kolumne „Mein Mainz“ notiert sie Begegnungen und Erlebnisse aus ihrer Wahlheimatstadt.

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Karin Dauscher
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