Rheinland-Pfalz Eine Stunde mit Ralf Hellrich: „Wir waren damals faul“

Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich (links) erzählt RHEINPFALZ-Redakteur Andreas Ganter im Ludwigshafener Berufsb
Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich (links) erzählt RHEINPFALZ-Redakteur Andreas Ganter im Ludwigshafener Berufsbildungs- und Technologiezentrum, dass sich Lernerfolg bei ihm erst mit Beginn der Ausbildungszeit eingestellt hat.

„Eine Stunde mit ...“ heißt die RHEINPFALZ-Gesprächsreihe, bei der sich der Gast den Ort des Treffens aussuchen darf. Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer der Pfalz, hat dafür das Berufsbildungs- und Technologiezentrum Ludwigshafen gewählt. Dort unterhielt sich RHEINPFALZ-Redakteur Andreas Ganter mit Hellrich (Jahrgang 1963). Stummer Zeuge des Gesprächs mit dem Südwestpfälzer war die RHEINPFALZ-Sanduhr – sie läuft genau eine Stunde.

Es soll zum Ritual dieser Serie werden. Zum Beginn muss sich der Gesprächspartner entscheiden: „Entweder ... oder ....?“ Angesichts des Treffpunkts und des Arbeitgebers von Ralf Hellrich drängt sich die Frage fast schon auf: „Ausbildung oder Studium?“, will ich von ihm wissen. „Es kommt auf die individuelle Neigung an“, schießt es aus Hellrichs Mund. Er plädiert dafür, jungen Menschen die freie Entscheidung zu lassen, welchen Weg sie beruflich einschlagen wollen. Die Handwerkskammer wolle niemanden vom akademischen Weg abhalten, aber zugleich darauf hinweisen, dass eine klassische duale Ausbildung auch für Abiturienten eine Möglichkeit sein kann. Hellrichs Bildungsweg war nicht ganz so gradlinig. Zu seiner Realschulzeit sagt er Sätze wie „Schule war damals nicht das Wichtigste für mich.“ „Ich war nicht der Stärkste.“ „Wir waren damals faul.“ Nach der Realschule absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung im – damals noch existierenden – Kaufhof in Ludwigshafen. Mit Beginn der Lehrzeit habe jedoch ein Wandel bei ihm eingesetzt. Vom ersten Tag an habe es ihm gefallen, die Theorie mit der Praxis zu verknüpfen. Lernerfolg stellte sich ein. Das Prinzip, Theorie mit Praxis zu verknüpfen, findet bei der Handwerkskammer konkret Anwendung in den Berufsbildungszentren, hierhin kommen die angehenden Handwerker zur überbetrieblichen Ausbildung. Aus Hellrich sprudelt es nur so heraus. Er hat die unerbittlich rieselnden Sandkörner im Blick und weiß genau, dass er nur eine Stunde Zeit hat. Ich komme kaum dazu, Fragen zu stellen. Bisweilen muss ich ihn, fast schon ein bisschen unhöflich, unterbrechen. Er nimmt’s nicht übel und erzählt, wie er nach der Bundeswehr bei seinen Schwiegereltern in einem Metallbaubetrieb in Ludwigshafen anfing. Zunächst habe er „hospitiert“, Grundbegriffe gelernt und an der Werkbank gestanden. „Die Maloche hat mir gefallen.“ Später wurde er Geschäftsführer des Unternehmens, absolvierte parallel ein betriebswirtschaftliches Studium. Dann verließ er die Firma Richtung Westpfalz. In Pirmasens wurde er zum Geschäftsführer der Handwerkerschaft. In Waldfischbach-Burgalben hat er mit seiner Frau ein Haus gebaut. Hellrich hat drei Kinder. Ich will von ihm wissen, ob sie – bei dem Vater – den Weg ins Handwerk geschafft haben. Nicht wirklich. Eine Tochter hat zwar eine Ausbildung absolviert – aber bei einer Bank, also nichts Handwerkliches. Der Sohn studiert, und die jüngste Tochter werde wohl auch den akademischen Weg einschlagen. 2008 wechselte Hellrich von Pirmasens als Hauptgeschäftsführer zur Handwerkskammer der Pfalz nach Kaiserslautern. Er engagiert sich in dieser Funktion in der Arbeitsgemeinschaft der rheinland-pfälzischen Handwerkskammern, sitzt als Lobbyist mit Politikern am Tisch und berät über die Zukunft des Handwerks. Das leidet seit Jahren unter der sinkenden Anzahl abgeschlossener Lehrverträge. Ob daran Vorurteile schuldig seien, frage ich Hellrich. Ob das Einkommen, die Arbeitszeiten und teils dreckige Arbeiten überhaupt attraktiv für junge Leute seien. Hellrich widerspricht vehement: „Der Mix macht es.“ Am Ende des Tages müsse ein fertiges Werk zu sehen sein. Die Vorstellungen des jeweiligen Kunden individuell zu erfüllen, sei die Herausforderung, der sich Handwerker tagein tagaus stellen müssten. Und dann ist da noch das Thema Meisterbrief. Auf EU-Ebene ist er immer wieder umstritten. Zwar will die EU-Kommission den Meisterbrief nicht abschaffen, aber dennoch die Hürden senken, die bei einer Unternehmensgründung notwendig sind. Hellrich ist als Lobbyist des Handwerks darin geübt, sich diplomatisch zu äußern, wenn es darauf ankommt. Genauso kann er aber jede Zurückhaltung verlieren, wenn es um die Meisterpflicht bei Handwerksbetrieben geht. Die sei schlicht nicht verhandelbar. Punkt. Firmen seien nur dann stark, wenn der Kopf des Unternehmens hervorragende Fähigkeiten habe, etwa in Form des Meisterbriefes. Vom fernen Brüssel versuche ich das Gespräch ins verhältnismäßig nahe Mainz zu lenken. Es gelingt. Hellrich spricht, nun wieder ganz diplomatisch, von einer „guten Zusammenarbeit“ mit der vorherigen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne). Allerdings habe der Schwerpunkt ihrer Wirtschaftspolitik auf der Klima- und Energiepolitik gelegen. „Wir haben versucht, rauszuholen, was ging“, sagt Hellrich mit Blick auf die abgelaufene Legislaturperiode. Der neuen Landesregierung, speziell dem von Volker Wissing (FDP) geführten Wirtschaftsministerium, attestiert er eine „unheimliche Dynamik.“ Die Handwerkskammern im Land pflegten eine gute Zusammenarbeit mit der Regierung. Handwerkskammern in anderen Bundesländern seien teilweise darüber erstaunt, wie partnerschaftlich in Rheinland-Pfalz miteinander umgegangen werde. Die Handwerkskammer der Pfalz engagiert sich in Abstimmung mit der Politik auch für Flüchtlinge, unter anderem mit Flüchtlings-Netzwerkern. An ihren Weiterbildungseinrichtungen bereite die HWK Flüchtlinge auf eine Ausbildung in Deutschland vor. Allerdings, räumt Hellrich ein, sei nicht klar, ob für alle eine geordnete duale Ausbildung der richtige Weg sei. Gerade für ältere Flüchtlinge sei es schwer, die Sprache so gut zu erlernen, dass die Vermittlung von Theorie und Praxis gleichermaßen erfolgreich sein werde. Die letzten Sandkörner rieseln durch die Uhr. Die letzte Frage bei „Eine Stunde mit ...“ gehört dem Gast. Hellrich will wissen: „Welchen Eindruck haben Sie vom Handwerk in der Pfalz. Wo sehen Sie Möglichkeiten, besser zu werden?“ Als Journalist beobachte ich regelmäßig die halbjährlichen Vollversammlungen der Handwerkskammer. Ich versuche ähnlich diplomatisch und dennoch ehrlich wie Hellrich zu sein. Meine Antwort: „Die Handwerker neigen bisweilen dazu, über sich und ihre Lage zu jammern und kurz darauf wundern sie sich, warum sich niemand findet, der bei ihnen eine Ausbildung machen will. Ich glaube, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein könnte dem pfälzischen Handwerk nicht schaden.“

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