Rheinland-Pfalz Aal von der schönen Anna

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Sie hätte mit den heutigen geschäftstüchtigen TV-Köchinnen wie Sarah Wiener oder Cornelia Poletto wohl locker mithalten können: Anna Bergner, Wirtin und begnadete Küchenmeisterin des 1836 in Bad Dürkheim eröffneten Hotels „Vier Jahreszeiten“. Sie machte das Haus seinerzeit mit Bällen, Gartenfesten und Konzerten zum gesellschaftlichen Anziehungspunkt. Sie kochte für königliche Gäste, berühmte Künstler und das feine bürgerliche Publikum. Der amerikanische Schriftsteller und „Lederstrumpf“-Autor James Cooper (1789-1851) schwärmte nach einer Stippvisite in Bad Dürkheim über Bergners Kochkunst: „Die Speisen munden ausnehmend und wurden in einer fast verschwenderischen Fülle aufgetragen.“ Doch die Wirtin, die gerne mit französischem Akzent sprach, fiel nicht nur wegen ihrer kulinarischen Künste auf; nachdrücklich in Erinnerung blieb auch ihre offenbar sehr anmutige Erscheinung. Als „schöne Anna“ war sie deshalb weit über die Stadt hinaus bekannt. Beeindruckte Zeitgenossen beschrieben sie als „emanzipiert, charismatisch und kultiviert“. Geblieben ist von der schönen Anna das „Pfälzer Kochbuch“, das 1858 erschien. Untertitel: „Eine Sammlung von 1002 praktisch bewährten Kochrecepten aller Art, begründet auf 30-jährige Erfahrung – den deutschen Frauen und Töchtern gewidmet.“ Anna Bergner setzte auf beste Produkte, frische Zubereitung und überraschende Kreationen. Insofern unterschied sie sich nicht von heutigen Spitzenköchen. Dennoch fällt manches in ihrem „Pfälzer Kochbuch“ – im Nachhinein betrachtet – aus dem Rahmen: Wie beispielsweise ihr „Ragout vom Auerhahn mit Olivensauce“. Der majestätische Vogel ist in Rheinland-Pfalz bekanntlich schon lange ausgestorben. Bei Gerichten wie „Froschschenkel auf andere Art“ oder „Aal mit Sardellen gespickt“ stellt sich die Frage, ob sie heutzutage noch auf den Speiseplan gehören. Nicht nur der Deutsche Tierschutzbund oder die Naturschutzorganisation WWF bestreiten dies. Bergner schnitt den Aal „in 4 Zoll lange Stücke“, in die sie Sardellenhälften und Gurkenscheibchen steckte, um sie anschließend in einem Sud weich zu kochen. Serviert wurden sie mit Essig und Öl. Die schöne Anna: „Eine vorzügliche Schüssel.“ Das mag sein. Doch diese Woche nutzte das rheinland-pfälzische Landesamt für Umwelt einen aufgedeckten Schmuggel am Frankfurter Flughafen, um eindringlich für den Aalschutz zu werben. Zollfahnder hatten am Airport einen Koffer entdeckt, in dem 5000 Jungaale, verpackt in Plastiktüten und Styroporboxen, illegal nach Vietnam gebracht werden sollten. In Asien gelten Aale als potenzsteigernde Delikatesse, für die bis zu 5000 Euro das Kilo gezahlt wird. Aale schlüpfen im Atlantik bei den Bahamas aus dem Ei und kommen nach einer langen Wanderschaft an die europäischen Küsten. Von dort ziehen die Jungaale über die Flüsse zu den Lebensräumen im Süßwasser. Die Population in den heimischen Gewässern ist seit den 1980er-Jahren stark rückläufig. Nach Europa gelangen nach Angaben des Landesumweltamtes nur noch etwa ein bis zwei Prozent der Jungaal-Mengen, die es vor 1980 gab: „Wenn davon die Hälfte in den Export ginge, wie vor der EU-Aalverordnung 2007, würde das den Zusammenbruch der europäischen Aalpopulation bedeuten.“ Obendrein: Erwachsen gewordenen Aalen, die später zurück zur Eiablage ins Meer wollen, wird das Leben zusätzlich schwer gemacht. Das Durchqueren der Wasserturbinen an Mosel und Saar überleben viele Fische nicht. Seit 1997 werden deshalb beispielsweise vor den Moselstaustufen jedes Jahr bis zu sieben Tonnen Aale aus dem Wasser gefischt und per Lkw zum Niederrhein gefahren, wo sie wieder freigelassen werden. Diese Transporte sorgen zusammen mit anderen Maßnahmen wie Schonzeiten und Fangmengenbegrenzungen dafür, dass der schrumpfende Aalbestand im Rhein derzeit noch als ausreichend angesehen wird. Für lizenzierte Betriebe sei der Aalfang daher nach wie vor erlaubt und Aal auf der Speisekarte „political correct“, sagt Lothar Kroll, Fischereiexperte beim Landesumweltamt in Mainz. Wem dennoch nicht der Sinn nach Aal steht, findet im „Pfälzer Kochbuch“ der 1882 verstorbenen Anna Bergner genügend Alternativen. Jetzt zur Adventszeit beispielsweise die Rezepte Nummer 762 (Zimtstern), Nummer 765 („Anisbrod“) oder 768 (Pfeffernüsse) . Info Eine Neuausgabe des ursprünglich 1858 erschienenen „Pfälzer Kochbuchs“ Anna Bergners von 2008 (pro Message Verlag) ist leider vergriffen. Exemplare, auch anderer Ausgaben des Buchs, sind aber antiquarisch gut erhältlich: www.zvab.de | Rolf Schlicher

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