Politik Leitartikel: Was nun, Union?

Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl: Die SPD in bestechender Frühform, CDU und CSU noch nicht einmal richtig warmgelaufen.

Das Rennen scheint offen wie lange nicht. Mit taktischen Spielchen wird die Union das Problem Schulz sicher nicht in den Griff bekommen.

Ausgerechnet Horst Seehofer. Der CSU-Vorsitzende, der anderthalb Jahre lang alles dafür getan hat, dass die Unionsparteien erschienen, als sei Einigkeit ein Fremdwort für sie, gibt nun den Mahner. Die CDU müsse an ihrer Form arbeiten, ließ sich Seehofer vernehmen, und dasselbe gelte auch für seine Partei, die CSU. Keine Frage, der Höhenflug der Sozialdemokraten in den Umfragen, die beinahe schon unheimliche Einigkeit, in der sich die SPD hinter ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz schart, all dies verunsichert die Union. Schlimmer noch, die Schulz-Welle hat Christdemokraten und Christsoziale augenscheinlich ganz unvorbereitet getroffen. Entsprechend kraftlos fallen die Reaktionen aus. Der Versuch, den frischgebackenen SPD-Vorsitzenden sogleich in die Koalitionsdisziplin einzubinden und ihn persönlich haftbar zu machen für ein mögliches Scheitern des Koalitionsausschusses kommende Woche, dürfte verpuffen. Schulz wirkt ja gerade deswegen so attraktiv, weil er eben nicht mit der Politik der großen Koalition identifiziert wird. Nein, mit solcherlei taktischen Spielchen wird die Union das Problem Schulz sicher nicht in den Griff bekommen. CDU und CSU werden sich inhaltlich mit der SPD auseinandersetzen müssen. Was nicht einfach ist, da man in den vergangenen zwölf Jahren zweimal vier Jahre miteinander regiert hat – und das nicht so schlecht. Die programmatischen Unterschiede zwischen den beiden großen Volksparteien haben sich abgeschliffen. Das hat der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel von einem Teil der Unionsanhänger den Vorwurf eingetragen, sie „sozialdemokratisiere“ die CDU und vernachlässige die konservative Klientel ihrer Partei. Manche Wähler sind zur AfD abgewandert. Sie kehren vielleicht irgendwann wieder in die Unionsfamilie zurück – aber kaum in den sechs Monaten bis zur Bundestagswahl. Bisher hat die Union den Wählerschwund verkraftet, weil die SPD weitaus stärker gelitten hat. Nun aber zieht der Schulz-Effekt die Umfragewerte der Sozialdemokraten in lange nicht mehr gekannte Höhen – und CDU und CSU merken, dass sie ein Problem haben. Dazu kommt: Bundeskanzlerin Merkel ist jetzt fast zwölf Jahre im Amt. Auch wenn die CDU-Chefin in ihrer Partei unangefochten ist, die Auseinandersetzung mit Seehofer zu ihren Gunsten ausgegangen ist – eine gewisse Merkelmüdigkeit ist nicht zu übersehen. Ob dies durchschlägt auf die Motivation der Union, mit aller Kraft in den Wahlkampf für Merkel zu gehen? Schwer zu sagen, da kann sich in einem halben Jahr noch einiges tun. Erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen Mitte Mai ist besser abzuschätzen, inwieweit der derzeitige Trend in den Meinungsumfragen – CDU/CSU und SPD Kopf an Kopf – tatsächlich durchschlägt auf Wahlergebnisse. Kassiert die CDU in Nordrhein-Westfalen eine deftige Niederlage, dürfte es schwieriger werden, die Unionsanhänger bundesweit für die Bundestagswahl zu mobilisieren. Aussichtslos wäre die Lage für die Union auch dann nicht. Denn es muss der SPD erst noch gelingen, ein überzeugendes Wahlprogramm aufzustellen, das nicht zu offensichtlich in Widerspruch zur bisherigen sozialdemokratischen Politik in der großen Koalition steht. Bisher euphorisiert Kanzlerkandidat Schulz die SPD – um Merkel abzulösen müsste er auch Unionswähler auf seine Seite ziehen. Zum Schulz-Hype müsste ein Merkel-Überdruss treten. Die berühmte Wechselstimmung aber, die es 1998 beim Wechsel von Helmut Kohl zu Gerhard Schröder gab, ist derzeit noch nicht zu verspüren.

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