Politik Das Risiko

Krisenmanager: Kanzlerin Angela Merkel und Vize-Kanzler Olaf Scholz.
Krisenmanager: Kanzlerin Angela Merkel und Vize-Kanzler Olaf Scholz.

Die Aufgabe steht nicht im Koalitionsvertrag. Schon wieder hat Unvorhergesehenes die Bundesregierung im Griff: die Bekämpfung des Coronavirus. Die Kanzlerin betritt nun die öffentliche Bühne. Das Krisenmanagement ist nicht ohne Risiko.

Spät ist die Bundeskanzlerin eingestiegen ins öffentlich sichtbare Corona-Krisenmanagement. Warum erst jetzt? Das Verhalten der Politikerin Angela Merkel zu deuten gleicht gelegentlich der Glaskugelguckerei auf dem Jahrmarkt: Man sieht nichts – und in Ermangelung von Fakten blüht die Fantasie. Das umso mehr, als dass Merkel ihr direktes Arbeitsumfeld hermetisch abriegelt. Nichts dringt aus diesem geschlossenen Kreis nach draußen. Es gibt auch hinter vorgehaltener Hand keine erklärenden Hinweise, was die Kanzlerin bewegt, warum sie handelt oder eben auch nicht. Am Mittwochabend nun hat sie sich direkt an die Bürger gewandt.

Angemessener Zeitpunkt? Zu spät? Diese Frage begleitet Angela Merkel seit Amtsantritt 2005. In der Vergangenheit ist unzählige Male geunkt worden, diese Kanzlerin warte zunächst ab, woher der Wind wehe, bevor sie sich festlege.

Derartige Mutmaßungen waren regelmäßig Unsinn. Näher an der Realität ist wohl, dass Merkel als Naturwissenschaftlerin nicht aus der Emotion heraus entscheidet, sondern auf der Basis von Fakten und Plausibilitäten. Sie denkt Dinge vom Ende her, dann entscheidet sie. Merkel ist nicht, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder Außenminister a. D. Joschka Fischer einst waren. Die haben – ausgestattet mit einer üppigen Portion politischen Instinkt – auch aus dem Bauch heraus gehandelt und kommuniziert.

Der Minister mimt nicht den Allwissenden

In der Corona-Krise hat die Kanzlerin die öffentliche Bühne lange ihrem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) überlassen. Auch wenn sie Wert auf die Feststellung legt, sich mindestens seit Januar regelmäßig mit dem Fachminister über die sich entwickelnde Pandemie ausgetauscht zu haben. Spahn war fast im Tagestakt öffentlich wahrnehmbar. Oft hat er sich dabei wissenschaftlichen Beistand an die Seite geholt, etwa den Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Aus dem Politischen ins Alltagsleben übersetzt, heißt das: Spahn nimmt sich ein Stück weit zurück und versucht nicht, den Allwissenden zu mimen. Wie überhaupt auffällt, dass die Bundesregierung bei der Bekämpfung des Coronavirus in enger Abstimmung mit der Wissenschaft handelt.

Dabei muss man wissen: Der Politiker Spahn steht unter Beobachtung. Gehört der 39-Jährige zu Recht zur Führungsreserve? Kann der Kanzler? Klar ist jedenfalls: Spahn strebt nach Höherem. Doch er landet beim Publikum nicht. Zuletzt hat er Konsequenzen daraus gezogen. Er tritt nun nicht erneut als Kandidat für den CDU-Vorsitz an. Einstweilen konzentriert er sich voll auf die Bekämpfung des Coronavirus, wie es auch aus seinem Ministerium anerkennend heißt.

Bisher wird Spahns Krisenmanagement mit Beifall bedacht. Er kommuniziert unaufgeregt, besonnen, geduldig und transparent. Er versucht klare Botschaften zu senden, was angesichts sich täglich ändernder Einschätzungen der Quadratur des Kreises gleicht. Er erklärt, warum heute plötzlich gilt, was gestern noch undenkbar schien. Als politisch Verantwortlicher taucht er nicht ab, sondern stellt sich den Fragen und der Diskussion. Er hat zunächst auf Gemeinsinn und Bürgerverantwortung statt auf „Basta!“ und Verbote gesetzt. Ein dickes Lob hat Spahn dieser Tage vom Virologen Christian Drosten (Charité Berlin) im NDR bekommen: „Ich will mal sagen, was ich sonst nie tun würde. Unser Gesundheitsminister lässt sich informieren und spricht aktiv Experten an. Nicht nur mich, sondern auch andere Experten. Er holt sich Informationen. Ich habe mit anderen Politikern auch andere Erfahrungen gemacht in Beratungen.“

Wohlmeinende rieten Spahn zu mehr Geduld

Es scheint, als habe Spahn seine Ungeduld, möglichst rasch die Fleischtöpfe der Macht zu erobern, inzwischen im Griff. Das war nicht immer so. Noch bevor er 2018 für den CDU-Vorsitz kandidierte, mussten Wohlmeinende ihn bremsen. Sie rieten zu mehr Geduld, die er sich angesichts seines Alters durchaus leisten kann.

In den vergangenen Tagen ist auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ins Zentrum des Krisenmanagements gerückt. Dem kommt nun zugute, was ihm in anderen Zusammenhängen als Makel an die Backe geklebt wird: seine stoisch ruhigen Auftritte. Keine Aufgeregtheiten, ihn scheint nichts aus der Bahn zu werfen. Krisenmanagement hat viel mit Psychologie zu tun. Gebetsmühlenartig redet er das Land stark. Geld sei genug da, sagt er immer wieder. Und er werde nicht zögern, noch mehr Geld im Kampf gegen die Pandemie auf den Tisch zu legen. Damit erinnert er an den legendären „Whatever it takes“-Spruch des früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. „Whatever it takes“ heißt übersetzt: „was auch immer notwendig ist“.

Die Bundesregierung will damit Vertrauen in ihr Krisenmanagement gewinnen. Merkel hat Erfahrung mit Krisen. Nach der Pleite der Lehman-Bank 2008 mussten sie und der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) im Tagestakt weitreichende Entscheidungen auf der Basis unzureichender Informationen treffen. Die Bundesregierung fuhr auf Sicht – und im Nebel. Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern gut durch die Krise gekommen. Vertrauen in Politik hat sich aufgebaut – Vertrauen, das während des Flüchtlingsgeschehens 2015 in Teilen der Bevölkerung wieder verloren ging.

Die kommenden Tage entscheiden

Für die Bundesregierung werden die kommenden Tage entscheidend sein. Denn wenn trotz Schul- oder Geschäftsschließungen, wenn trotz Sport- oder Kulturabsagen die Infektionszahlen nicht drastisch sinken, und zugleich die Sorgen um den Arbeitsplatz oder das Einkommen drängender werden, wird die Frage nach der Handlungsfähigkeit des Staates wieder herumwabern. Die Bürger könnten geneigt sein, der Politik die Vertrauensfrage zu stellen.

Insofern ist das Risikomanagement der Bundesregierung in Sachen Coronavirus auch ein Risikomanagement in eigener Sache.

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