Panorama Massenmörder ohne Motiv

Der Tatort: Rechts oben sind noch die zerbrochenen Fenster im 32. Stock des Hotels zu sehen. Aus denen feuerte der Schütze auf d
Der Tatort: Rechts oben sind noch die zerbrochenen Fenster im 32. Stock des Hotels zu sehen. Aus denen feuerte der Schütze auf das Countrymusik-Festival auf der anderen Straßenseite, das Tausende besuchten.

«Las Vegas.» Der Angriff auf ein Country-Festival in Las Vegas hat eines der größten Vergnügungszentren der USA in eine Szenerie des Horrors verwandelt. Der Schütze war Glücksspieler, Waffensammler und wohl ein Einzeltäter. Über sein Motiv lässt sich bislang nur rätseln.

Ein stiller Buchhalter sei er gewesen, unauffällig und ein wenig kontaktscheu, das sagen Bekannte über Stephen Paddock. Seit Kurzem pensioniert, lebte er in einer Rentnerkolonie in der Nähe eines Golfplatzes in Mesquite, einer Kleinstadt in der Wüste Nevadas, gut eine Autostunde nordöstlich von Las Vegas. Sein Bruder Eric beschreibt ihn als wohlhabend. Allein in Nevada soll er zwei Wohnungen besessen haben, eine in Mesquite, die andere in Reno, der Casinohochburg, die so etwas ist wie ein kleineres, nicht ganz so glitzerndes Las Vegas. Mit seiner Lebensgefährtin sei er viel gereist, öfter auf Kreuzfahrtschiffen über die Meere gefahren, erzählte Eric Paddock dem Sender CBS. Stephen habe Poker gespielt, mit hohem Einsatz. Einmal habe er ihn per SMS wissen lassen, dass er gerade 250.000 Dollar gewonnen habe. Über Spielschulden sei nichts bekannt gewesen, auch sonst gebe es nichts, was seine furchtbare Tat auch nur im Ansatz erkläre. Drogen, mentale Störungen, Alkoholprobleme – nichts davon treffe seines Wissens auf Stephen zu. Der Schock treffe ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel, fügte Eric hinzu. „Es ist, als wäre gerade ein Asteroid auf unsere Familie herabgestürzt.“ Nichts von dem, was man bislang weiß über das Leben Stephen Paddocks, trägt wirklich zur Erhellung bei. Nichts hilft auch nur ansatzweise zu verstehen, was den 64-Jährigen dazu brachte, von einer Suite im Hotel „Mandalay Bay“ in Las Vegas auf Konzertbesucher am „Strip“ zu schießen, an der legendären Amüsiermeile der Wüstenstadt mit ihren künstlichen Pyramiden, dem nachgebauten Eiffelturm und imitierten New Yorker Wolkenkratzern. Durch fanatische Ideen sei er nicht aufgefallen, betonen seine Brüder Eric und Patrick. Für irgendeine Ideologie habe er sich nie interessiert. Es fällt schwer, angesichts der bisher bekannt gewordenen Bruchstücke seiner Vita zu glauben, was die Terrormiliz „Islamischer Staat“ verkündet: dass Paddock, vor Monaten zum Islam konvertiert, einer ihrer „Soldaten“ gewesen sei. Bisher gebe es keine Beweise, nach denen der Schütze Verbindung zu einer internationalen Terrororganisation hatte, kommentiert das FBI. In den 80ern arbeitete Paddock für ein Unternehmen, das heute zum Rüstungskonzern Lockheed Martin gehört. 2003 machte er seinen Pilotenschein, um Privatjets fliegen zu können. Was man inzwischen an Details aus seiner Biografie kennt, es führt alles nicht weiter. Joseph Lombardo, der Sheriff von Las Vegas, bringt das Rätselraten auf einen prägnanten Satz. „In die Gedankenwelt eines Psychopathen kann ich mich nicht hineinversetzen.“ Fest steht wohl, dass das Massaker nicht dem spontanen Entschluss eines Amokläufers entsprang. Im Gegenteil, der Rentner hat die Bluttat akribisch vorbereitet. Nachdem er ein Zimmer im 32. Stockwerk des „Mandalay Bay“ gemietet hatte, legte er dort ein regelrechtes Waffenlager an. Mindestens 23 Feuerwaffen in mindestens zehn Koffern, so Sheriff Lombardo, soll er nach und nach auf das Hotelzimmer gebracht haben, zumeist Gewehre, einige versehen mit Zielfernrohren. Mit einem schweren Gegenstand, womöglich einem Vorschlaghammer, zertrümmerte er Fensterscheiben, dann verschanzte er sich in der 32. Etage wie hinter den Zinnen einer Burg. Minutenlang schoss er auf Besucher des Festivalgeländes auf der anderen Straßenseite. Mindestens 59 Menschen starben, mehr als 500 wurden verletzt. Als die Polizei das Zimmer stürmte, hatte sich der 64-Jährige offenbar schon selbst umgebracht. Die halbautomatischen Waffen, die der Täter nach jetzigen Erkenntnissen benutzte, waren legal in Nevada zu kaufen. Da Paddock nicht vorbestraft war, stellte der Computerabgleich mit dem Strafregister, den ein Waffenhändler vornehmen muss, für ihn keine Hürde dar. In seinem Haus in Mesquite seien neben Schusswaffen und Tausenden Patronen Sprengstoff gefunden worden, Tannerit und Ammoniumnitrat, teilte die Polizei mit. Weder hatte Stephen Paddock einen militärischen Hintergrund, noch sei er als Waffennarr aufgefallen, sagt sein Bruder Eric. Der Vater, Patrick Paddock, stand einst auf der Liste der „Ten Most Wanted“, mit deren Hilfe das FBI nach den zehn meistgesuchten Straftätern fahndet. 1961 war der Senior nach einer Serie von Banküberfällen zu 20 Jahren Haft verurteilt worden, 1968 aus dem Gefängnis geflohen. Seine drei Söhne hätten praktisch nichts von ihm gehabt, heißt es in amerikanischen Medienberichten. Aber was tragen solche Informationsfetzen schon bei zur Suche nach dem Motiv?

x