Meinung Das Wunder von Ludwigshafen 2.0

Meinung_zu_Eulen.jpg
Trainer Ben Matschke und Spieler Alexander Feld freuen sich über den Sieg.

Die Eulen Ludwigshafen spielen im dritten Jahr in Folge in der Handball-Bundesliga. Lange abgeschrieben, schaffte die Mannschaft von Trainer Ben Matschke am Sonntag mit einem 31:30 (14:15)-Sieg gegen GWD Minden sensationell den Klassenverbleib, das „Wunder von Ludwigshafen 2.0“. Es war durch das 25:25 (15:14) zwischen SG BBM Bietigheim und dem VfL Gummersbach, den Mitkonkurrenten der Eulen am Liga-Abgrund, ein dramatischer „Ziel-Foto-Entscheid“. Alle drei Mannschafen haben 14:54 Punkte auf dem Konto, die Eulen bleiben wegen der um ein Tor besseren Tordifferenz (- 153) in der Bundesliga, der zwölfmalige deutsche Meister VfL Gummersbach (- 154) steigt mit Bietigheim (- 174) ab. „Wir waren schon tot. Diese Mannschaft hat Unglaubliches geleistet. Die Jungs haben Charakter und sich das auch verdient“, jubelte Eulen-Trainer Matschke nach dem Nervenspiel vor 2350 Zuschauern in der ausverkauften Friedrich-Ebert-Halle.

Der Abstieg einer Legende

Mit dem VfL Gummersbach steigt ein Traditionsverein ab, der einen Tiefflug ähnlich dem des 1. FC Kaiserslautern und des TSV 1860 München im Fußball, erlebt. Die Gummersbacher steigen erstmals in der 53-jährigen Geschichte aus der Bundesliga ab. Den ersten seiner zwölf Meistertitel holte der VfL 1966/67 in der damals noch zweigeteilten Bundesliga durch den Finalsieg gegen den TV Hochdorf. Fünfmal war der VfL Pokalsieger, holte elfmal den Europacup. Und zahlt nun die Zeche für jahrelange Misswirtschaft, für sportliche Fehlplanung, irrlichtern fernab jeder Kontinuität.

Erfolgsgarant Matschke

Bietigheim und Gummersbach haben in dieser Saison, die in Titelverteidiger SG Flensburg-Handewitt einen großartigen Champion sieht, die Trainer gewechselt. „Für die Eulen war das nie ein Thema“, versicherte Lisa Heßler, die junge Geschäftsführerin, die am Sonntag auch von Lotto-Chef Jürgen Häfner hohes Lob erfuhr. Fraglos: Trainer Ben Matschke ist die entscheidende Figur für den Höhenflug der Eulen. Der einstige Kapitän führte die Mannschaft 2017 in die Eliteliga und 2018 zum wundersamen Klassenverbleib. Das Kunststück wiederholte sich am Pfingstsonntag. Und dies, obgleich mit Jerome Müller und Azat Valiullin die besten Werfer verletzt fehlten. Valiullin, die sportliche Lebensversicherung 2018, fehlte in dieser Saison monatelang durch Verletzungen – Kahnbeinbruch, Mittelfußbruch, wieder am Kahnbein lädiert. Regisseur Alexander Feld kam nach einem Achillessehnenriss erst in der Schlussphase der Saison zurück aufs Parkett – sein sensationelles Comeback erst machte den Coup im Spiel bei den Rhein-Neckar Löwen möglich und trug maßgeblich zum zweiten Wunder von Ludwigshafen bei. Mit Matej Asanin, Leihgabe von Sporting Lissabon, künftig mit Zagreb in der Königsklasse unterwegs, verstärkten sich die Eulen im neuen Jahr. Mit dem slowenischen Routinier David Spiler landeten die Eulen beim Nachbessern des ausgedünnten Kaders im Dezember sportlich und menschlich einen Volltreffer. Er steuerte am Sonntag sechs tolle Treffer bei – und schied nach 41 Minuten sinnbildlich für das Verletzungspech der Eulen mit Bruch des kleinen Fingers der linken Hand aus. Es ging trotzdem gut.

Charakterstarke Truppe

Spiler, wie Asanin, Feld und Stefan Salger am Ende stilvoll von Trainer, Fans und Geschäftsführung verabschiedet, beseelten die Mannschaft. Es spricht für den Charakter des gesamten Teams, dass die Vier, die gehen, spielentscheidend war. Asanin hielt gut, Feld, künftig in Wetzlar am Ball, warf fünf Tore, war spielerisch und kämpferisch eine Leitfigur, Salger, der nach Melsungen geht, traf viermal. Spiler wirkte nach seinem Ausscheiden wie ein dritter Co-Trainer! Und Matschke taktierte erstklassig – mit dem siebten Feldspieler, mit Freddy Stüber als Joker nach der Pause, mit Kai Dippe, der alle sieben Siebenmeter verwandelte.

Valiullins Tränen

Ein Signal der Zuversicht und Treue sendete Azat Valiullin vor dem Schicksalsspiel: Zwei Stunden vor dem Anpfiff verlängerte der Russe seinen Kontrakt ligaunabhängig um ein Jahr. In der Kabine verkündete der 28-Jährige die Botschaft vor dem Warmlaufen – und weinte nach dem Abpfiff im Kreis seiner Kameraden Freudentränen. „Eulen geben niemals auf“, schwärmte Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck mit Fingerzeig auf ein Plakat auf der Tribüne begeistert und beglückt. Lotto-Geschäftsführer Häfner sah sein Pausen-Orakel bestätigt als er an Katja Ebsteins Hit von 1970 erinnerte: „Wunder gibt es immer wieder.“

Der Ausbildungsverein lebt

Der Kader der Zukunft steht fast. Mit Asanin, Spiler, Feld und Salger verlieren die Eulen vier Asse. Für den Rückraum kommt Junioren-Nationalspieler Max Neuhaus (19) aus dem Talentschuppen des SC Magdeburg – perspektivisch einer, der Feld nachfolgen kann. Torhüter Martin Tomovski (21), der mazedonische Nationaltorhüter, kommt von HC Metalurg Skopje. Ein Linkshänder soll noch verpflichtet werden. Jan Remmlinger, lange verletzt, startet wie Valiullin einen Neustart, Pascal Bührer soll sich weiter entwickeln. Und der umworbene Müller bleibt im Eulen-Nest. Für die Nestwärme beim Ausbildungsverein sorgt Ben Matschke. Auf ein Neues!

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x