Zweibrücken An der Grenze des Möglichen

Das war die Nacht der offenstehenden Münder: Mit Tommy Emmanuel gastierte am Samstag beim letzten Konzert des diesjährigen Festivals Euroclassic in der ausverkauften Zweibrücker Festhalle einer der wenigen Gitarren-Weltstars, denen es gelungen ist, über die Zirkel der Gitarren-Enthusiasten hinaus zu reüssieren.

Freilich, auch in Zweibrücken war das Publikum überwiegend mit Gitarrenverrückten besetzt, wie der Handhebe-Test des Kulturamtschefs Thilo Huble bei der Begrüßung zeigte. Auch und gerade weil mit Michael Fix ein weiterer Gitarrenmeister − wie Emmanuel aus Australien stammend − das Vorprogramm bestritt, war ein fast zweieinhalbstündiges Konzertprogramm auf allerhöchstem Niveau beinahe schon garantiert. Emmanuel, dem in seinem Heimatland der Status eines Volkshelden zuteilwurde, hat die Möglichkeiten der (Stahlsaiten-)Gitarre in einem Maß erweitert, dass Steigerungen in rein technischer Hinsicht kaum vorstellbar sind. Hochgeschwindigkeitsvirtuosen hat die Gitarrenwelt schon manche erlebt, man denke nur an die Einspielung von Paco de Lucia, Al Di Meola und John McLaughlin, „Friday Night in San Francisco“ von 1980, die der kürzlich verstorbene Paco de Lucia allerdings im RHEINPFALZ-Interview so kommentierte: „Das Trio war so ’ne Art Zirkus. Es ging immer nur darum zu zeigen, wer der Schnellste war, fast wie bei den Olympischen Spielen. Das hat schon irgendwie Spaß gemacht. Aber ich hatte nie ein besonders tiefes Gefühl, wenn ich diese Musik spielte.“ Bei Tommy Emmanuel macht dieser Zirkus-Aspekt ebenfalls einen beträchtlichen Teil der Faszination aus. Seine Fingerstyle-Spielweise, die noch ganz entfernt in der des legendären Chet Atkins wurzelt, hat diese Ursprünge längst transzendiert. Höchstes Tempo an der Reflex-Grenze, das Spiel mit Fingerpicks, Plektrum und der unbewehrten rechten Spielhand, perkussive Effekte auf Gitarrenkorpus und -decke, der Einsatz von Klangformern und Delay-Effekten, die quasi das Spiel mit sich selbst ermöglichen, all das hat Emmanuel bis an die Grenze des Möglichen weiterentwickelt. Aber anders als bei anderen Virtuosen hat diese stupende Fingerfertigkeit nicht zu einem sinnfreien Leerlauf geführt, wie in Zweibrücken eindrücklich zu hören war. Immer noch wurzelt Emmanuels Spiel in tradierten Songs, Folk, ein bisschen Blues, manches von den Beatles, eigene Kompositionen, das eine oder andere Jazz-Einsprengsel. Und immer noch ist die Technik nicht Selbstzweck, sondern transportiert Emotionen und musikalischen Sinn, die auch jene anrühren, die Musik hören und nicht nur einen Artisten bewundern oder vom Hochseil fallen sehen wollen. Selbst ein ausgesprochenes Kabinettstückchen wie „Classical Gas“ von Mason Williams, das schon viele Gitarrenvirtuosen im Programm hatten, geht noch als Musik durch und ist nicht nur technische Demonstration. Unglaublich und einzigartig, wie Emmanuel dieses Niveau ununterbrochen beinahe eineinhalb Stunden halten kann. Das geht auch an die Grenzen der Physis und Konzentrationsfähigkeit. Geradezu undankbar, dass ein Michael Fix, der seine Technik und Spielweise in der Nachfolge Emmanuels entwickelt hat und zu berechtigtem Ruhm in der Gitarrenszene gelangt ist, daneben beinahe untergeht. Hätte er seine atmosphärischen Songs, die er ebenfalls mit einer außerordentlichen Technik vorträgt, in einem eigenen Solo-Konzert gespielt, überschwängliches Lob wäre ihm sicher gewesen. In Zweibrücken war er − auch im Duett mit Emmanuel − nur der zweitbeste Mann des Abends.

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