Speyer „Weg von ex und hopp“

Nieselregen, der Himmel wolkenverhangen, kühler Wind weht Sommerluft aus der Stadt: ein Wetter wie geschaffen für einen Ausflug in die Literatur. Statt in die nächste Buchhandlung haben wir uns gestern Mittag – ausgestattet mit reichlich Lesestoff zum Verschenken – zum öffentlichen Bücherschrank begeben. Seit drei Monaten erinnert er im Speyerer Kulturhof Flachsgasse an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten 1933.

12 Uhr: Wetter, Uhrzeit und Montag, der Wochentag, an dem Galerien üblicherweise geschlossen bleiben, machen wenig Hoffnung auf Publikumsverkehr am Bücherschrank. Feuchtigkeit bedeckt die fünf gelben Plastikstühle, die ein nach Angaben von Volkshochschul-Chef Ewald Gaden unbekannter Spender rund um den ziemlich gut gefüllten Schrank aufgestellt hat. „Da ist ja ein öffentlicher Bücherschrank“, ruft Ellen Ince ihrer hinterdrein schlendernden Begleiterin zu, die daraufhin einen Schritt zulegen. „Das gibt es bei uns in Mosbach nicht“, sagt Ince und schiebt zur besseren Einsicht eine Glasscheibe zurück. Auf die „Quelle der Weisheit“ fällt die Wahl der Besucherin aus dem Odenwald, die dort nach eigenem Bekunden im eigenen Atelier malt und sich dafür mit Texten auseinandersetzt. „Das Buch kommt mit“, entscheidet Ince. Auch die Freundin ist fündig geworden. Das Speyerer Angebot „weg von ex und hopp“ begeistert sie ebenso wie die Idee, damit an die von der Nazi-Diktatur „verbotenen Schriftsteller“ zu erinnern. Das erklärt der Hinweis, der von den Initiatoren am Bücherschrank angebracht ist. Demnach steht er zum Gedenken an den 10. Mai 1933 da, als die Nationalsozialisten Werke ungeliebter Autoren in Speyer und überall in Deutschland öffentlich verbrannt haben. Vor 80 Jahren verbotene und zeitgenössische Literatur ist im Speyerer Bücherschrank vorhanden, aber auch Krimis, Religiöses, Klassisches, Romane, Kinderbücher und Ratgeber. So kann der Leser mit Karl May „Durchs wilde Kurdistan“ oder mit Heinz Konsalik durch den „heißen Steppenwind“ reiten, sich über „Bauen ohne Sorgen“ informieren oder „Die Alpen im Luftbild“ erkunden. „Ich bringe und hole regelmäßig“, sagt Anneliese John bei ihrer Ankunft am Bücherschrank. Die meisten ihrer in der vergangenen Woche eingestellten Titel sind „vergriffen“, stellt sie fest und freut sich über den regen Austausch der Speyerer Bücherwürmer. Früher habe sie überflüssigen Lesestoff in der Dreifaltigkeitskirche abgegeben, sagt die Speyererin. „Der Schrank ist eine tolle Alternative.“ Das findet auch der Radfahrer, der gegen 12.30 Uhr im Kulturhof Halt macht, ein Buch in den Schrank stellt und ein anderes herausholt. „Für die Mittagspause“, sagt er und radelt mit einem „Eifelkrimi“ davon. Kaum ein Passant geht vorüber, ohne einen oder mehrere Blicke auf das vielfältige Tausch-Angebot zu werfen. „Wie eine richtige Mini-Bibliothek“ beschreibt eine Touristin aus Nordhorn das zufällig entstandene Sortiment. Widmungen, wie von den Initiatoren empfohlen, finde sie in den Büchern nicht, bedauert sie. „Dann wäre es noch persönlicher.“ Auch sie hat die richtige Lektüre gefunden: Lara Cardellas sizilianische Emanzipationsgeschichte „Ich wollte Hosen“ erscheine ihr richtig für einen Nachmittag auf dem Sofa, sagt sie. Die nächste Schrank-Besucherin wünscht ihr „eine schöne Lesezeit“.

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