Speyer Interview mit dem Schriftsteller Wladimir Kaminer über Putin und den Krieg in der Ukraine

Bei der Lesung in Speyer: Wladimir Kaminer.
Bei der Lesung in Speyer: Wladimir Kaminer.

Wladimir Kaminer schreibt, lebt und denkt seit 32 Jahren Deutsch. Der Berliner Autor mit russischen Wurzeln hat im Speyerer Kulturbeutel mit Geschichten von Krieg und Frieden begeistert. Ellen Korelus hat den 56-Jährigen an Putins 70. Geburtstag in der Festival-Zeltstadt getroffen und ihn gefragt, welchen Beitrag Kultur für den Frieden leisten kann.

Herr Kaminer, haben Sie heute schon an den Kreml-Chef gedacht?
Leider ja. Ich musste unterschiedlichsten Medien gefühlt im Minutentakt Interviews geben und Fragen nach seiner Persönlichkeit, seiner Denkweise, seinen Plänen beantworten. Putin ist ins Leben von Menschen getreten, die lieber nichts über ihn wüssten, kann ich nur sagen. Ich gehöre auch dazu.

Wie oft werden Sie derzeit gefragt, wie Russen ticken?
Solche Gespräche sind inzwischen zum dritten Job für mich geworden. Sie würde ich gerne eintauschen gegen etwas mehr Frieden, zumindest einen Waffenstillstand.

Sind Sie eigentlich deutscher Staatsbürger?
Glücklicherweise ja. Früher hatte ich einen stetig wiederkehrenden Albtraum: Ein Fähnrich steht vor meiner Tür, um mich zurück in die russische Armee zu holen. Sie brauchen jeden Mann, sagt er immer wieder. Völlig verängstigt bin ich jedes Mal aufgewacht. Jetzt ist mein Albtraum traurige Realität für Millionen Russen.

„Kaminer Inside“ in Ost und West oder irgendwo dazwischen: Wo sehen Sie sich?
Eindeutig in Deutschland. Hier ist mein Leben, meine Familie, meine Arbeit. Ich will bleiben und weiterhin auf Deutsch schreiben und alles, wirklich alles dafür tun, eines Tages ein neues demokratisches Russland zu erleben. Im Moment helfe ich Landsleuten, die in Not geraten sind.

Sie wollen verbotene Medien wieder aufbauen. Wie geht das?
Ich habe Journalisten nach Deutschland geholt, die autokratisch geführte Staaten verlassen mussten. Der Hörfunksenders „Echo Moskau“ sendet jetzt mit Hilfe des Axel-Springer-Verlags aus Berlin. Chefredakteur und Mitarbeiter haben sofort ein Visum erhalten, aber keine Arbeitserlaubnis. Lange mussten sie heimlich ohne Bezahlung arbeiten. Das liegt am unreifen politischen System der EU. Dmitri Muratow, russischer Friedensnobelpreisträger 2021 und Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, produziert seine Zeitung bei der „taz“. Ich freue mich, dass ich dazu beitragen konnte.

Ihre Großeltern stammen aus Odessa. Haben Sie deshalb Ihre Russen-Disko in Ukraine-Disko umbenannt?
Odessa ist meine zweite Heimat. Ich kenne die Stadt wie meine Westentasche. Ich kenne die Leute, die Musik, die Mentalität. Jeden Sommer habe ich dort bei meiner Oma verbracht. Ich möchte nicht zu russischen Liedern tanzen, während die Russen versuchen, die Ukraine in Schutt und Asche zu legen. Deshalb Ukraine-Disko. Wobei der Großteil der russischen Musiker den Angriffskrieg verurteilen. „Heimat ist nicht im Arsch des Präsidenten“, hat einer gesagt und wurde dafür vor Gericht gestellt. Viele Rapper haben das Land verlassen. Kultsängerin Alla Pugatschowa, die Seele der russischen Lieder, hat sich öffentlich gegen Putin gestellt. Noch lässt man sie in Ruhe.

Die Angst vor dem Russen geht in Deutschland um. Was sagen Sie dazu?
Um 200.000 Russen in die Armee einzuberufen, hat der Kreml 30 Millionen in helle Panik versetzt. Eine halbe Million Männer haben ihr Land, ihre Familien und ihre Arbeit verloren. Für was? Für nichts. Russische Medien suchen nach den 200.000, von denen keiner militärisch ausgebildet ist. Jetzt wird auch noch das Recht außer Kraft gesetzt. Inhaftierte Verbrecher kommen frei, wenn sie sich bereiterklären, in den Krieg zu ziehen. Russen können also ruhig morden und klauen. Schlagzeilen berichten von Banden, die mit automatischen Waffen auf der Krim gesichtet wurden. Unwillige Opfer der Mobilmachung, Söldner und befreite Knackis: Daraus besteht die russische Armee, die die Zukunft Russlands bestimmen wird. Ja, das Land steht vor großen politischen Veränderungen.

Wie bewerten Sie die Sache mit den schweren Waffen für die Ukraine?
Ich verstehe die Haltung deutscher Intellektueller nicht. Für Frieden im eigenen Land wollen sie die Ukrainer an Putin verfüttern und jeder Diktatur in den Arsch kriechen! Aber der Plan geht nicht auf. Wenn die russische Führung die Angst der Deutschen sieht, wird sie das noch mehr anheizen. Die Ukraine kämpft auch für Deutschland. Aber den Ausgang des Krieges wird das nicht beeinflussen.

Wie geht er denn aus?
Die russische Elite sucht gerade nach einer annehmbaren Niederlage, um aus der Sache herauszukommen. Die Ukrainer sollten sich einen Sieg aussuchen, mit dem alle leben können. Aber wirklich beendet wird der Krieg nur in den Köpfen der Menschen. Dafür müssen die Russen erfahren, dass sie Angreifer und nicht Opfer sind, dass sich nicht 40 Staaten gegen ihr Land verbündet haben, dass sie nicht von NATO, USA und EU angegriffen werden.

Kann Kultur dazu beitragen, den Konflikt in den Köpfen zu lösen?
Kultur kann nicht viel verändern, aber Menschen zum Nachdenken bewegen. Das ist sehr viel.

Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass alles wieder gut wird?
Ich glaube fest daran, dass ein Gleichgewichts-Pendel in unsere Welt eingebaut ist. Wenn das Böse erscheint, ist das Gute gleichzeitig zu sehen. Böses zerstört, Gutes baut auf. Ich bin sicher, dass das Böse am Ende immer verliert. Leider ist nicht sicher wann.

Zur Person

Wladimir Kaminer ist am 19. Juli 1967 als Sohn einer Lehrerin für Festigkeitslehre und eines Betriebswirts in Moskau zur Welt gekommen. Nach Wehrdienst und Ausbildung zum Toningenieur studierte er Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut. Seit 1990 lebt er mit Mutter, Ehefrau und zwei inzwischen erwachsenen Kindern in Berlin. Der Schriftsteller schreibt ausschließlich auf Deutsch, arbeitet als Kolumnist für Zeitungen und Zeitschriften, ist Musiker und für die Filmreihe „Kaminer Inside“ regelmäßig in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. In Speyer war er mit seinem jüngsten Buch „Wie sage ich es meiner Mutter“. kya

Wladimir Kaminer in Speyer.
Wladimir Kaminer in Speyer.
Wladimir Kaminer in Speyer.
Wladimir Kaminer in Speyer.
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