Speyer „Ein deutsches Missverständnis“

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Unter dem Motto „Zukunft braucht Erinnerung – 25 Jahre Deutsche Einheit“ steht ein Gedenkkonzert der Reihe „Palatina Klassik“ am Sonntag, 27. September, 20 Uhr, im Historischen Ratssaal Speyer. Neben Gastredner Bernhard Vogel wirkt unter anderem das Mendelssohn Quartett Leipzig mit. Mit dem Ersten Geiger Gunnar Harms hat unsere Mitarbeiterin Anne Kirchberg vorab gesprochen.

Warum hat Ihr Quartett sich ausgerechnet auf Felix Mendelssohn spezialisiert?

Mendelssohn ist mit Leipzig in vielfacher Weise verknüpft und deshalb für uns Musiker sehr wichtig. Er begegnet einem in dieser Stadt auf Schritt und Tritt. Unter anderem wurde sein letztes Wohn- und somit Sterbehaus zu einem wunderschönen Museum umgebaut, in dem wir vier bis sechs Mal pro Jahr auftreten. Die Bezeichnung „Mendelssohn Quartett“ übernahmen wir von einem Vorgängerquartett, das 25 Jahre lang unter diesem Namen spielte. Nachdem sie damals zehn Jahre kein Konzert mehr gegeben hatten, fragten wir an und erhielten ihr Einverständnis. Seitdem versuchen wir, dem Namen alle Ehre zu machen. Was möchten Sie den Zuschauern bei Ihren Auftritten über den Komponisten vermitteln? Mendelssohn ist in vielfacher Hinsicht ein deutsches Missverständnis. Zum einen besteht das Vorurteil, er habe seine größten Meisterwerke in ganz jungen Jahren geschaffen und danach diesem Versprechen nicht mehr gerecht werden können. Unserer Auffassung nach stimmt das nicht, sondern Mendelssohn komponierte auf gleichbleibend hohem Niveau in all seinen Lebensabschnitten. Ich habe den Eindruck, dass dieses Vorurteil aus der Nazizeit stammt, als die Musik von Mendelssohn verboten wurde und nicht einmal mehr im Leipziger Gewandhaus erklingen durfte. Sogar sein Denkmal wurde zerstört und erst vor wenigen Jahren wieder aufgebaut. Passt Mendelssohn deshalb gut zum Thema „25 Jahre Deutsche Einheit“? Ja, aber die eigentliche Verbindung zu diesem Thema entsteht dadurch, dass die richtige Mendelssohn-Renaissance erst mit der Wende einsetzte. Nach der Wiedervereinigung gelangte er zu dem Stellenwert, den er verdient. In Leipzig ist dies besonders sichtbar, da erst dann seine Wohnung, die wirklich einzige vorhandene authentische Wirkungs- und Lebensstätte Mendelssohns, kurz vor dem Abriss durch viel Engagement zu diesem wunderschönen Museum gestaltet wurde. Daneben passt zur Veranstaltung auch seine Verbindung von Leipzig und Speyer – schließlich machte er dort während seiner Hochzeitsreise Halt und arbeitete an seinen Quartetten Opus 44, von denen wir an diesem Abend etwas zu Gehör bringen werden. Sie spielen im Quartett die Erste Geige. Was bedeutet das eigentlich genau? In der Frühzeit der Quartett-Literatur gab es von Violinvirtuosen komponierte „Konzertante Quartette“, bei denen eine Geige quasi von drei weiteren Streichinstrumenten begleitet wurde. Wir bemühen uns allerdings, ein demokratisches Quartett zu sein, und spielen überwiegend Stücke, bei denen alle vier Instrumente gleichberechtigt sind. Es ist schon so, dass die Erste Geige prozentual etwas öfter im Vordergrund steht. Trotzdem sind die Aufführungen ein Gespräch unter vier Gleichberechtigten. Wir kommunizieren Sie mit dem Publikum? Ich mag es nicht besonders, wenn die Musiker abgehoben auf der Bühne mit versteinerter Miene ihre ernste Kunst vortragen und das Publikum ergeben zu lauschen hat. Für mich ist das der falsche Ansatz. Deswegen versuchen wir, die Zuhörer in jedem Konzert schon mitzunehmen, bevor es losgeht. Wenn man ihnen ein bisschen Informationen an die Hand gibt, erhalten sie automatisch eine andere Beziehung zu den Stücken. Natürlich kann das, was Musik ausdrückt, nicht mit Worten gesagt werden. Aber man kann die Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge lenken, die dann intensiver wahrgenommen werden. Der Großteil unserer Konzerte findet in einem intimen Rahmen statt, wodurch die Aufführungen den Charakter eines musikalischen Salons erhalten. Ich finde, Kammermusik entfaltet einen besonderen Reiz, wenn man die Musik hautnah erleben darf. Inwiefern bei dem Auftritt in Speyer Zeit für eine kurze Einführung ist, weiß ich leider noch nicht. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Auftritt in Speyer vor sechs Jahren? Ich freue mich sehr auf Speyer und erinnere mich an die wunderbare Altstadt. Den Historischen Ratssaal kenne ich noch nicht von innen, aber ich hörte, er soll eine einzigartige Akustik besitzen. Zu diesem Anlass mit Herrn Vogel und schöner Chormusik vor Ort zu sein, wird bestimmt ein ganz besonderes Erlebnis. Termin —Konzert mit Werken von Mendelssohn und Brahms. Weitere Mitwirkende: „Palatina Klassik“ Vokalensemble unter der Leitung von Leo Krämer. —Der frühere rheinland-pfälzische und thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel hält einen Festvortrag. —Der Eintritt ist frei. Spenden kommen dem Fonds „Menschen in Not“ der Stadt Speyer zugute. (akk)

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