Pirmasens „Wir sehen jede Aufführung als große Herausforderung an“

Mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms debütierte Helfried Steckel am 23. November 1974 als Leiter des Oratorienchors in der Pirmasenser Festhalle. Er hatte den Chor erst rund drei Monate zuvor übernommen. 31 Jahre danach, stand das Requiem wieder auf dem Programm des Chores – und der hatte sich mittlerweile unter Steckels Leitung zu einem Klangkörper entwickelt, dessen hohe Qualität weit über die Region hinaus für Aufsehen sorgte und heute noch immer sorgt. Von Bach, Händel, Gluck, Haydn, Mozart, Verdi, Mendelssohn-Bartholdy bis Stravinsky, Bruckner, Beethoven, Purcell und Rossini reicht das Repertoire, das Steckel mit dem Chor über all die Jahre auf die Bühne gebracht hat. Und natürlich Orff. Über all das sprach Steckel mit unserem Redakteur Christian Hanelt.

Seit 40 Jahren sind Sie nun Chorleiter. Da drängt sich die Frage nach den Höhen und Tiefen in all diesen Jahren auf?

Im Grunde gehören alle Aufführungen zu den Höhen. Ich hatte das große Glück, im Laufe all der Jahre die schönsten und bedeutendsten Werke für unsere Besetzung aufzuführen: Bachs h-Moll-Messe, seine Passionen, die Oratorien und Messen von Haydn, Mozart, Mendelssohn, Schumann, Brahms, Verdi – um nur einige zu nennen. Auch die Konzerte in der Klosterkirche von Hornbach mit Schwerpunkt Barock und kleinerer Besetzung zählen zu den Höhen. Zu den Tiefen gehörte früher der dürftige Probenbesuch unmittelbar nach einer Aufführung. Aber wirkliche Tiefen gab es nicht, sonst hätte ich das Amt schon aufgegeben. Verspüren Sie noch Lampenfieber? Nein. Eine gewisse Spannung ist da, sonst wäre die Aufführung langweilig. Voraussetzung ist allerdings, dass man die Partitur im Kopf hat.  Hat es Sie nie gereizt, mit Ihrer Musik über die Region und den Oratorienchor hinaus aktiv zu werden? Mein Beruf war Lehrer. Als Musiklehrer hat man natürlich die Möglichkeit, über die Schule hinaus noch zu wirken. So war ich viele Jahre nebenher Konzertmeister des Uni-Orchesters Saarbrücken, leitete 17 Jahre das Homburger Kammerorchester, und dann der Oratorienchor. Das genügt, wenn der Hauptberuf nicht zu kurz kommen darf.  Wie würden sie Ihre Handschrift als Chorleiter beschreiben? Was ist Ihre Stärke, was Ihre Schwäche? Zu den Schwächen fragen Sie am besten meine Frau und die Chorsänger. Ich spreche in den Proben oft zu leise, bin manchmal zu geduldig und zu wenig energisch, was sich auf die Disziplin auswirkt. Ansonsten lege ich großen Wert auf Werktreue – wir benutzen Urtextausgaben –, auf Artikulation und Phrasierung, Offenlegung von Strukturen. Ich versuche, einen klaren, durchsichtigen Chorklang zu erzielen, daher studiere ich möglichst ohne Klavier ein. Im Vordergrund steht für mich die Aussagekraft des Werkes, der Text und die Komposition. Ich habe auch immer gute Solisten verpflichten können – dies oft auf Grund freundschaftlicher Beziehungen zum Beispiel zu dem Bassisten Klaus Mertens. Was sich positiv auf die Aufführung auswirkt, ist meine Erfahrung mit dem Orchester, weshalb die Musiker immer sehr gern bei uns spielen.  Denken Sie zuweilen ans aufhören? Ja.  Ist der Chor nicht so auf Sie fixiert, dass es dann schwierig wäre, einen Nachfolger zu finden, der im gleichen Maße wie Sie akzeptiert wird? Wir hatten schon Dirigenten wie Volker Hempfling als Gast. Er ist absolut akzeptiert worden. Dem Chor hat es Spaß gemacht, einen anderen zu erleben. Was ist für Sie das Besondere an Ihrem Chor? Heute allgemein verbreitet sind sogenannte Projektchöre, das heißt ausgesuchte, routinierte und qualifizierte Sänger, die in der Lage sind, sich selbst gut vorzubereiten. Sie treffen sich, um in kurzer Zeit eine Aufführung auf die Beine zu stellen, und gehen dann wieder auseinander. Bei uns im Oratorienchor ist zunächst die Freude am gemeinsamen Singen und Musizieren die einzige Voraussetzung. Die weniger routinierten oder geübten Sänger werden mitgetragen von anderen, die erfahren sind oder fachliche Voraussetzungen haben. Für uns alle ist es immer wieder ein besonderes Gefühl, wenn wir jeden Donnerstagabend in der Probe gemeinsam an einem Werk arbeiten, zunächst mühsam, dann aber spüren, wie es immer besser wird bis hin zur Aufführung, die für jeden Sänger am Schluss ein ganz besonderes Erlebnis ist. Orffs „Carmina Burana“ haben Sie ja schon wiederholt aufgeführt. Was reizt Sie daran? Die Vitalität der Musik, die Gegensätze, die Rhythmik, die Urwüchsigkeit, aber auch der Text reizen mich. Sie haben Orff zuletzt beim Rheinland-Pfalz-Tag open air aufgeführt. Bereiten Sie den Chor für das Konzert in der Festhalle mit den anderen akustischen Bedingungen auch anders vor? Nein, denn die akustischen Bedingungen in der Festhalle sind besser.  Gehört die „Carmina Burana“ nicht eher zu den leichter aufzuführenden Stücken, die Sie bislang einstudiert haben? Ist da der Chor nicht fast schon unterfordert? Wir sehen jede Aufführung als große Aufgabe und Herausforderung an. Und auch dieses Werk will gründlich geprobt sein.  Wo liegen die Schwierigkeiten der „Carmina Burana“? Die Rhythmik des Werks ist nicht immer ganz einfach, ebenso der ungewohnte Text. Die Sprache ist Mittelhochdeutsch, Latein und Altfranzösisch.  Und was macht sie für den Hörer so interessant? Es sind die eingängigen Melodien, die raffinierte Harmonik und der ausgeprägte Rhythmus. Was planen Sie als nächstes Konzert? Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ am 7. Dezember.  Bitte nennen Sie drei Gründe, das Konzert zu besuchen. Sie werden eines der populärsten Werke des 20. Jahrhunderts hören. Sie erleben Sänger und Instrumentalisten, die durchweg aus Pirmasens und der Umgebung stammen oder indirekt damit zu tun haben. Sie können anschließend mit den Ausführenden bei Essen und Trinken in oder vor der Festhalle feiern.

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