Pirmasens Alles auf Zucker!

Ein musikalisches Weihnachtsprogramm ohne Tschaikowskys „Nussknacker“ und Humperdincks „Hänsel und Gretel“? Kaum vorstellbar. Das mochte sich auch das Orchestre Royal de Liège gedacht haben. Bei seinem Auftritt im Mannheimer Rosengarten stimmte das renommierte königliche Orchester aus Belgien das Publikum mit diesen und weiteren märchenhaften Klassikern auf die Adventszeit ein. Star des Abends aber war der Harfenist Emmanuel Ceysson.

Willkommen in der musikalischen Weihnachtsbäckerei. Einen in Zuckerwatte gepackten Schmusesound legen die Belgier gleich zum Auftakt mit der Ouvertüre zu Humperdincks Dauerbrenner auf. Da möchte man gerne noch einmal Kind sein. Beschützt von 14 Engeln, die uns sanft in den Schlaf wiegen und vom Christkind träumen lassen. Dirigent Christian Arming ringt seinen Streichern ein sattes Vibrato ab, butterweicher Streicherschmelz und strahlender Bläserglanz verbreiten festliche Stimmung. Zuviel Kitsch? Wen kümmert das? Immerhin ist Weihnachtszeit und da darf es gerne etwas mehr Lametta sein. In die schöne Glitzerwelt perlender Läufe, rauschender Glissandi und dekorativer Girlanden entführt uns schließlich der große Star des Abends: Emmanuel Ceysson, erster Preisträger des ARD-Musikwettbewerbs und Solo-Harfenist an der Metropolitan Opera. Seine Wiedergabe des berühmten Harfenkonzerts von Reinhold Glière gleicht einem Kampf um Leben und Tod und ist an Dramatik kaum zu überbieten. Hollywood lässt grüßen, aber es ist diesmal kein donnernder Steinway-Flügel, sondern eine zarte Harfe, die engelsgleich über dem Orchester schwebt. Respekt vor dem belgischen Vorzeigeorchester, das einen bemerkenswert dezenten Klanghintergrund bewerkstelligt und die hohe Kultur des klangvollen Pianissimo-Spiels märchenhaft schön zelebriert. Warum ihm der Ruf als „enfant terrible unter den Harfenisten“ vorauseilt? Vielleicht ist es nicht zuletzt die werbewirksame optische Inszenierung, mit der der athletisch auftrumpfende Ceysson als Saitenflüsterer am weiblichsten aller Instrumente vor allem die Damenwelt überzeugt. Erwähnt seien an dieser Stelle nur seine zum rot lackierten Rahmen der Harfe korrespondierenden roten Schuhsohlen. Das Publikum erzwingt eine Zugabe und der charmante Franzose antwortet mit einer Bravournummer aus dem reichhaltigen Solorepertoire des französischen Harfenisten Marcek Lucien Tournier. Ohne diesen Aspekt überbewerten zu wollen: Ein Fest für die Augen bietet auch der Dirigent. Seine Meisterschaft in der Pantomime ist unübertroffen. Der Taktstock spielt bei Arming dabei eine eher untergeordnete Rolle, aber der Erfolg gibt ihm recht: Jede Faser seinen Körpers und seines Gesichts spiegelt auf eine ansteckend suggestive Weise das musikalische Geschehen wieder und animiert zu faszinierenden orchestralen Höhenflügen. Noch mehr Zucker gefällig? Tschaikowskys Nussknacker-Suite verlangt danach und das Orchester spart nicht mit großen Gefühlen. Und überrascht dabei sowohl in der Entdeckung der Langsamkeit als auch im Rausch der Geschwindigkeit mit einer unglaublichen Orchesterdisziplin. Es ist jene Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche, mit der das Orchestre Royal de Liège sein Publikum elektrisiert. Als ultimativer Höhepunkt bleibt das bravouröse Celesta-Solo im Tanz der Zuckerfee in Erinnerung. Am Ende siegt das Gute: Im Kampf gegen das Böse bedankt sich der Nussknacker bei seiner Retterin mit einem Ausflug ins Reich der Süßigkeiten. Grund genug für die Gäste aus Belgien, „Le chocolat: Danse Espanole“ aus der besagten Suite als Zugabe zu servieren. Süßer geht’s nicht.

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