Neustadt Mit Zeitzeugen auf Spurensuche

„Ganz tief ist das Flugzeug runtergekommen. Da habe ich gleich gewusst: Das stürzt ab.“ Heinz Schuhmacher, 88 Jahre alt, denkt an sein Erlebnis aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück – und auch sieben Jahrzehnte später wird seine Erinnerung wieder lebendig. Der Haßlocher ist Augenzeuge der letzten Sekunden, in denen sich ein britischer Lancaster-Bomber vor seinem Absturz im Wald bei Haßloch noch in der Luft befindet. Wir schreiben das Jahr 1943 – an welchem Tag genau, ist noch unbekannt. Schuhmacher ist damals 16. Es ist schon dunkel, als er vom Burgweg aus beobachtet, wie das große Flugzeug im Tiefflug in Richtung Lachen-Speyerdorf donnert. „Mit einem Nachbarsbu’ bin ich sofort losgelaufen“, erinnert er sich. Nicht nur aus reiner Neugier: Fallschirmseide, erzählt der 88-Jährige, war damals ein äußerst begehrter Stoff. Wir stehen an der damaligen Absturzstelle, mitten im Wald zwischen Haßloch und Lachen-Speyerdorf, auf einem Weg in der Nähe des Erbsengrabens. Schuhmacher weiß noch genau, was für ein Bild sich geboten hat. „Auf der einen Seite vom Weg lag der Motor, und auf der anderen Seite, nur ein paar Meter im Wald drin, waren einzelne Teile des Flugzeugs.“ Nichts brannte. Die Lancaster war nach seiner Beschreibung noch relativ intakt, aber die Tragflächen waren abgerissen. „Alles war mucksmäuschenstill“, erinnert sich Schuhmacher an die unheimliche Stimmung in jener Nacht, keine Menschenseele war zu sehen. Auf einem Fahrrad kam ein deutscher Soldat, der sich wohl auf Heimaturlaub befand, angefahren und scheuchte die Jungen weg. Am nächsten Tag war der damals 16-Jährige wieder an Ort und Stelle – aber da war der ganze Bereich bereits abgesperrt. Die „Arbeitsgruppe Vermisstenforschung“, die seit 25 Jahren versucht, die Schicksale von im Zweiten Weltkrieg mit Flugzeugen abgestürzten Piloten und Besatzungen zu klären, hat in den vergangenen Wochen drei Absturzstellen rund um Haßloch relativ genau lokalisieren können (wir berichteten mehrfach, zuletzt am 25. April). In Deutschland konnten bisher über 400 Absturzstellen von verschollenen Flugzeugen anhand der Angaben von Zeitzeugen eingegrenzt werden, 40 allein in der Pfalz. Nach 140 Wracks wurde gegraben, dabei wurden sterbliche Überreste von 45 Soldaten gefunden. Heinz Schuhmacher ist einer von um die 20 Zeitzeugen, die sich auf einen Aufruf in der RHEINPFALZ hin bei den Vermisstenforschern gemeldet haben. Das ist laut Peter Berkel aus Schifferstadt, einer der Aktiven der Arbeitsgruppe in unserer Region, eine außerordentlich gute Resonanz. Anhand der genauen Erinnerungen des 88-Jährigen kann die Stelle, an der vermutlich 1943 die britische Lancaster abgestürzt ist, relativ genau bestimmt werden. Die kleine Gruppe, die sich da versucht, ein Bild von den Ereignissen in jener Nacht vor 72 Jahren zu machen, besteht neben Schuhmacher und Berkel aus Hans Rech, der ein altes Familienalbum mit interessanten Fotografien dabeihat, und Rudi Sauter, einem weiteren Zeitzeugen. Das Schwarz-Weiß-Foto aus dem Album der Familie Rech könnte das abgestürzte Flugzeug zeigen – aber sicher ist das nicht. Auf zwei undatierten Aufnahmen, die Hans Rechs Vater Karl gemacht hat, sind Teile eines abgestürztes Flugzeug der Royal Air Force zu sehen – zu erkennen an der Kokarde, dem Hoheitszeichen auf dem Rumpf. Geht man davon aus, dass die Fotografien in chronologischer Folge ins Album geklebt wurden, gibt Rech zu bedenken, müsste die Aufnahme von 1944 stammen – was aber den Angaben Schuhmachers widerspricht, der sicher ist, dass der Absturz bereits 1943 war. Das ist ein typisches Beispiel für die manchmal recht schwierige Spurensuche, auf die sich die Vermisstenforscher begeben. Aus der teilweise zu entziffernden Flugzeugkennung, so hofft Peter Berkel, kann vielleicht darauf geschlossen werden, um welche Maschine es sich auf der Fotografie handelt. Die Absturzstelle soll – sobald das Wild nicht mehr gestört wird – mit Metallsuchgeräten begangen werden – unter der Voraussetzung, dass Eigentümer beziehungsweise Jagdpächter dem zustimmen. Berkel ist optimistisch, dass zumindest kleine Teile des Flugzeugs gefunden werden können. Dass die Lancaster – die viermotorige Maschine war der bekannteste Bomber der britischen Streitkräfte – laut der Angaben der Zeitzeugen noch relativ intakt war, belegt nach Ansicht von Berkel, dass der Pilot eine Notlandung versuchte. Zweite Station auf der kleinen Rundreise sind die Woogwiesen westlich von Lachen-Speyerdorf. In dem damals sumpfigen Gelände soll am 29. Oktober 1944 eine Messerschmitt (Me) 109, möglicherweise von einem Flugschüler des in Lachen-Speyerdorf stationierten Ausbildungsgeschwaders 106 gesteuert, abgestürzt sein. Laut Zeitzeugen soll das Heck noch aus der Wiese herausgeragt haben, am nächsten Tag das Flugzeug ganz verschwunden gewesen sein. „Das könnte ein Glücksfall für uns sein“, sagt Berkel. Denn das könnte bedeuten, dass in einigen Metern Tiefe das komplette Wrack liegt. Zeitzeuge Rudi Sauter berichtet von einem älteren Lachen-Speyerdorfer, der Genaueres über den Absturz wissen soll. Berkel will dem nachgehen. Möglicherweise könnte auch die Luftbild-Archäologie weiterhelfen: Aus großer Höhe lässt sich anhand von Auffälligkeiten beim Bewuchs feststellen, wo etwas zu finden sein könnte. Sollte das der Fall sein, würde Berkels Metallsuchgerät zum Einsatz kommen, das aus alten Beständen der Nationalen Volksarmee stammt. Bis in eine Tiefe von acht Metern können damit Eisenteile aufgespürt werden. Sicher dagegen ist, dass am Ortsausgang in Richtung Badepark, links vom Lachener Weg, tief im Erdreich Teile einer am 28. August 1943 abgestürzten Messerschmitt Bf 110 liegen. Dank der Angaben eines Zeugen ließ sich die Stelle genau bestimmen. Bei einem Luftkampf über Ludwigshafen war die Maschine in Brand geschossen worden. Zwei der drei Besatzungsmitglieder hatten sich mit Fallschirmen retten können. Die unbemannte Maschine hatte sich jeweils etwa 30 Meter von der Bebauung und der Straße entfernt in den Boden gebohrt. Bei einer ersten Untersuchung hat das Metallsuchgerät reagiert: Ein klarer Hinweis darauf, dass die Me 110 hier liegt. Wenn der Eigentümer einverstanden ist, will die Arbeitsgruppe intensiv weiterforschen, sobald der Acker abgeerntet ist. Im Falle des Absturzes des amerikanischen B 17-Bombers am 9. September 1944 gehen die Vermisstenforscher inzwischen davon aus, dass die „Fliegende Festung“ nicht bei Haßloch heruntergekommen ist, sondern den Flugplatz Lachen-Speyerdorf zu einer Notlandung ansteuerte, dort aber von der deutschen Luftabwehr unter Beschuss genommen wurde und abstürzte. Keine Unterlagen dazu hat allerdings Ludwig Faust aus Bad Dürkheim, der in seinem Buch „Als die Vernichtungsmaschinerie lief“ zahlreiche Weltkriegs-Flugzeugabstürze in der Pfalz dokumentiert hat. Seinen Recherchen in Armeearchiven zufolge ist eine B 17 bereits am 13. April 1944 auf dem Rückflug von einem Angriff auf die Augsburger Messerschmitt-Werke von einer deutschen Me 109 getroffen worden, im Bereich des Lachen-Speyerdorfer Flugplatzes abgestürzt und hat dabei einige abgestellte Maschinen zerstört. Im Gespräch mit der RHEINPFALZ weist er auf ein weiteres Ereignis in der Nacht vom 23. auf 24. September 1943 hin: Bei Haßloch soll ein Stirling-Bomber der Royal Air Force (Short Stirling III) abgestürzt sein – abgeschossen vermutlich von einem Flugzeug eines deutschen Nachtjagdgeschwaders. Der zur 15. Schwadron gehörende britische Bomber soll nach Angriffen auf Mannheim 18 Kilometer südwestlich von Ludwigshafen heruntergekommen sein; sechs Besatzungsmitglieder starben, ein Mann kam in Gefangenschaft.

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