Neustadt In Riesenschritten durch vier Jahrhunderte

Neustadt-Mussbach. „Zurück in die Zukunft“, frei nach der Hollywood-Filmtrilogie, reisten die Cellistin Katja Zakotnik und der amerikanische Pianist Noel Lester am Sonntag in der Parkvilla des Mußbacher Herrenhofs: In einem großen Sprung ging es zunächst zurück ins Jahr 1615 und dann in Riesenschritten von jeweils 100 Jahren mit Musikstücken von 1715, 1815 und 1915 bis ins noch junge Jahr 2015.

Zum Auftakt also 1615: In diesem Jahr ging Girolamo Frescobaldi, Organist an der Peterskirche in Rom, für ein Jahr nach Mantua. Er war ein international anerkannter Meister der Tasteninstrumente, auch deutsche Musiker pilgerten zu ihm, um zu lernen. Seine Toccata für Violoncello und Klavier – historisch wurde sie auf anderen Instrumenten gespielt – klang wie eine Suite von drei Sätzen, in einen einzigen Satz zusammengefasst: Nach einem langsamen Adagio als Einleitung ein lebhaftes Allegro vivace als Mittelstück und ein Andante, feierlich schreitend, als Abschluss. Das Ganze klang dabei so frisch, dass die 400 Jahre seit der Entstehung völlig in den Hintergrund traten. 1715 – da passt Johann Sebastian Bach. Lester hatte als Klaviersolo Prélude und Gigue aus der Englischen Suite Nr. 3 ausgewählt, ein sehr lebhaftes, virtuoses Stück, das er entsprechend schwungvoll vortrug. Die insgesamt sechs englischen Suiten entstanden alle 1715 in Weimar. 1815 – Beethoven lebt in Wien, ist hauptsächlich mit der Überarbeitung des „Fidelio“ beschäftigt. Gleichzeitig entsteht die Sonate Nr. 4 für Cello und Klavier in einem Stil, den er nur dieses eine Mal verwendet: Sie besteht aus zwei schnellen Sätzen, denen je eine sehr langsame Einleitung vorangestellt ist. Das wirke vom Aufbau her leicht verwirrend, warnte Katja Zakotnik vor: „Kommt da nun noch was, oder ist es zu Ende? Beifall aufsparen – es kommt noch was nach“ So hielten es dann auch die Zuhörer. Nach der Pause kam man mit großen Schritten näher an die Gegenwart heran – und außerdem weitete sich das Programm auf amerikanische Kompositionen aus. Das war mit Bedacht so zusammengestellt: Die Zusammenarbeit der in Slowenien geborenen und in Schifferstadt wohnenden Cellistin mit dem Pianisten und Hochschullehrer am Hood College in Frederick, Maryland, kam nämlich zustande durch die Partnerschaft der kleinen Stadt in der Vorderpfalz und der gut dreimal so großen Gründung deutscher Einwanderer im Osten der USA. Katja Zakotnik als Reiseleiterin stellte jedes Stück jeweils in den zeitlichen Zusammenhang mit der Geschichte, in Europa wie in Amerika. Dabei könne man von einer eigenständigen Entwicklung klassischer Musik in den USA erst ab dem 19. Jahrhundert sprechen. Debussys Sonate für Cello und Klavier in d-Moll von 1915 hat in ihrem Mittelteil, zumindest für Noel Lester, etwas sehr Amerikanisches: Ein bisschen am Tempo und der Rhythmik gebastelt, und schon klang das, was er da hervorzauberte, nach einem amerikanischen Volkslied: „O Susanna“. Debussy kannte es wahrscheinlich nicht, der verbeugte sich mit dieser Komposition vor dem französischen Barock. Einem Prolog wie einer heiteren Opern-Ouvertüre folgte eine Serenade, die Katja Zakotnik zum großen Teil wie auf der Gitarre zupfte – ein abendliches Ständchen vielleicht? Die Serenade ging direkt ins Finale über. Richtig amerikanisch wurde es dann mit Noel Lesters Klaviersolo „The white peacock“ von Charles T Griffes, ebenfalls von 1915. Griffes, der schon 1920 mit nur 35 Jahren starb, studierte in Berlin und ist – unüberhörbar – vom Impressionisten Debussy beeinflusst, ein Stück flirrendes Tongemälde. Das Konzert schlossen Katja Zakotnik und Noel Lester ab mit dem wirklich brandneuen Stück, „Postcards of America“ des New Yorker Pianisten und Komponisten Bruce Wolosoff. In drei Sätzen setzt er einen Film über die USA als Kopfkino in Gang: „River“ könnte der „Ol′man river“ Mississippi sein. Mächtig und ein wenig träge zeichnen die Klavier-Akkorde die Wellen nach, und man meint im Cello-Part ein wenig Blues herauszuhören. „Strut“ ist eine Form des „Cakewalk“-Tanzes der Schwarzen um 1900 herum, bei dem sie in grotesken Übertreibungen ihre eitlen weißen Herren veralberten. Die Musik dazu: purer Ragtime. Der letzte Satz, „Tough decision“, war die musikalische Umsetzung einer New Yorker Straßenszene, in der die Aufmerksamkeit nach allen Richtungen gehen will. Viel Jazzrhythmus steckte darin, und eine deutliche Erinnerung an Gershwins „An American in Paris“.

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