Neustadt Elwedritsche im Gepäck

Wenn Sven Giegold an Neustadt denkt, kommt ihm sofort die Elwedritsche in den Sinn. Was für den gebürtigen Niedersachsen sprechen dürfte. Deshalb war sein Reisegepäck auch einen Tick schwerer, als er die Pfalz gestern nach kurzem Stopp wieder verließ. Denn beim Spaziergang durch die Innenstadt – auf Wahlkampftour als (männlicher) Spitzenkandidat der Grünen fürs Europaparlament – hatte der 44-Jährige zugeschlagen und spontan eine plüschige Variante des Fabeltiers erstanden. Sie wird jetzt zu Hause in Verden seine Stofftiersammlung schmücken. Doch was hat ein Niedersachse, der die Bürger von Nordrhein-Westfalen in Straßburg vertritt, überhaupt mit dem pfälzischen Neustadt zu tun – außer, dass gestern auf dem Hambacher Schloß eine Podiumsdebatte zur Europawahl anstand? „Mit Anfang 20 habe ich ein gutes halbes Jahr hier verbracht“, erzählt Giegold. Von Neustadt wollte er lernen, und er hat Ideen mitgenommen, die noch heute sein Leben prägen. Zum Beispiel bestimmte alternative Wohnformen, Grundlage für die später in Verden gegründete ökologische Wohnungsgenossenschaft „AllerWohnen eG“, in der der Grünen-Politiker lebt. Giegold hatte sich schon früh in der Jugendumweltbewegung engagiert, ebenso in vielen Nicht-Regierungs-Organisationen. Er war begeistert von dem Gedanken, nicht nach der Politik zu rufen, um Dinge zu verändern, sondern selbst aktiv zu werden. Ökologisch orientierte Betriebe gründen und selbst verwalten, ebenso Wohngemeinschaften, „und davon gab es Ende der 80er Jahre in Neustadt schon viele“. Er nennt den Bioladen „Abraxas“, den Kulturverein „Wespennest“, das Biorestaurant „Konfetti“ oder die Buchhandlung „Quodlibet“ – „da war ich auch heute wieder drin“. In Neustadt klappte das nach seiner Einschätzung deshalb gut, „weil es eine Mischung aus Einheimischen und Zugezogenen war“, die die Projekte stemmten. Mit Seminaren über Rhetorik, Moderation oder auch Konfliktbewältigung innerhalb von Gruppen hielt er sich über Wasser. Später dann studierte er Wirtschaftswissenschaften; und setzte zudem seine Neustadter Erfahrungen in Verden um. Was noch von damals blieb: die Liebe zum Pfälzerwald, der für den Niedersachsen eine ganz neue Naturerfahrung war, und der Kontakt zur Neustadter Grünen-Politikerin Jutta Paulus. Ihr hatte er versprochen, in Wahlkampfzeiten wie diesen einen Abstecher in die Pfalz zu machen. Zumal er Kleinstädte ohnehin mag: „Groß genug, um alles zu bekommen, klein genug, um alle zu kennen.“ Und der Pfälzer Dialekt? Auch dabei hat Giegold von Neustadt gelernt. Deshalb steht für ihn fest, dass die fehlende gemeinsame Sprache kein Argument gegen ein geeintes Europa ist. Schließlich habe es Deutschland auch geschafft, blickt er zurück auf eine Zeit, in der die Hochsprache einigen wenigen vorbehalten war. Seit 2009 gehört Sven Giegold dem Europaparlament an; zuvor war er als Quereinsteiger in die Grünen-Partei geholt worden. Und vielleicht liegt es auch ein bisschen an seiner Liebe zur Kleinstadt, dass er auf eines besonders stolz ist: Dass das europaweite Bürgerengagement die Wasser-Privatisierungspläne der EU-Kommission gekippt hat, gegen die auch die Grünen waren. Ein Erfolg, der beweise, „dass die Leute vor Ort durchaus etwas bewirken können“.

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