Neustadt Der Stoff, aus dem die Träume sind

Eine von sechs Stationen: das Tanklager des Weinguts Müller, wo das Ensemble „Les Kamerades“ auftrat.
Eine von sechs Stationen: das Tanklager des Weinguts Müller, wo das Ensemble »Les Kamerades« auftrat.

«Neustadt-Hambach.»Das „Träumer und Taten“-Festival zum zehnjährigen Bestehen des Theater- und Kulturfördervereins Hambach zeigte auch am Wochenende noch einmal seine kreative Seite. Großer Resonanz erfreute sich am Freitag und Samstag der von Hedda Brockmeyer, der Leiterin des „Theaters in der Kurve“, gemeinsam mit Theaterpädagogen, Schauspielern und engagierten Mitgliedern erarbeitete „Theaterspaziergang“ durch die Schlossstraße mit sechs Spielstationen in verschiedenen Weingütern.

„Willkommen in der Unterwasserwelt und bitte nicht atmen!“, so die Kids des „Theaters in der Kurve“ im Weinkeller des Weinguts Schäffer unter Regie von Dominique Fürst. Zuerst muss das „magische Tor“ beschritten werden, ein farbenfroh fluoreszierendes Quallenband markiert die Treppe abwärts. Es ist stockdunkel, umso greller leuchten die Farben der Kostüme im Schwarzlicht. Seejungfrauen präsentieren ihre Mode mit submarinen Accessoires. Skelette aus untergegangenen Wracks liefern sich mit bunt glitzernden Eindringlingen einen tänzerischen Kampf, der friedlich in einem Song endet. Zurück im Tageslicht führt Thuk-Mitglied Friedrich Georgens zur „Schneekönigin“ im Hof des Weinguts Nägele. Leises Glockenspiel von Leni Bohrmann empfängt die Teilnehmer. Die Schauspielerin erzählt vom zerbrochenen Zauberspiegel des Teufels, dessen Splitter das Böse in die Welt bringen. Getreu dem Andersen-Märchen springt ein Stückchen davon dem jungen Kai ins Auge, der sich nun charakterlich völlig verwandelt. Bohrmann beeindruckt mit ihrem darstellerischen Können, schlüpft in alle Rollen, mimt auch die böse Schneekönigin und Kais besorgte Freundin Gerda. Mit einer Handfigur spielt sie eine Krähe, später eine weise alte Frau. Dann reitet sie auf einem Besen mit Rentierkopf heimwärts. Ganz andere Akzente setzt man im nächsten Keller. Zwischen den Barriquefässern des Weingutes Nägele sind schaurige Klänge und unheimliches Geflüster, schweres Atmen, Knochengerassel und Glockenschläge zu hören. Fünf Darsteller aus einer Gruppe von Leni Bohrmann inszenieren Goethes „Totentanz“ als Hörspiel, weshalb man den Besuchern abgedunkelte Brillen aushändigt, damit sie sich ausschließlich auf das Zuhören konzentrieren. „The future starts hier!“ steht bei der nächsten Station in großen Lettern vor dem Edelstahlkeller des Weingutes Müller. Die Tanks sind Teil des Spiels, das ein Spannungsfeld zwischen Natur und Technik entwickelt. Die expressiven Masken hat das Ensemble „Les Kamerades“ von Theaterpädagogin Judith Becker eigens für dieses Ambiente geschaffen. Schauer wird durch Poltern, Klopfen aus den Tanks und Wassergeräusche erzeugt, untermalt von sphärischer Musik. Die Darstellerinnen agieren pantomimisch, schaffen Dynamik durch den Wechsel von lauernder Starre und bewegter Aggressivität. Nach dem Ausflug ins Futuristische erwartet die Theaterwanderer keine leichte Kost bei „Der Selbstmörder und das Nichts“ von Botho Strauß. Brillant kontrastierend agieren Andrea Baur als bunt gekleidetes und gut gelauntes „Nichts“ und Schlafforscher Siegfried Kralik, in seinem zerrissenen weißen Kittel die personifizierte Unzufriedenheit, als „Selbstmörder“. Während sie abwechselnd gelangweilt, albern oder belehrend wirkt, steigert er sich in verzweifelte Ausbrüche und stellt zum Schluss die resignierte Frage, für wie lange er im Fegefeuer bleiben muss. Die vage Antwort: „eine halbe Ewigkeit.“ Bei der letzten Station gibt das Barbershop-Quartett „Eins mit Bart drei ohne“ im Weingut Schäffer den musikalischen Abschluss. „Sie als Zuschauer dürfen per Los entscheiden, was wir singen“, fordert Thomas Schäffer auf. Mit „What a wonderful world“ (Louis Armstrong) und „In the still of the night“ (Fred Parris) beweisen die Besucher ein glückliches Händchen, denn beide Titel gehören zu den schönsten des Repertoires. Die teils längeren Strecken entlang der Schlossstraße überbrücken die Organisatoren mit verschiedenen Intermezzi, wie dem der „üwwerzwerchen Liesl“ (Heike Schäffer-Roos), die ein Lied über Hambach singt, oder Hannah Holzer, die von persönlichen Träumen erzählt, die wie Seifenblasen platzen. Gerade will man weitergehen, da ruft eine Stimme „Halt!“. Haj Duc-Trinh lässt aus dem zweiten Stock eines Hauses die Füße aus dem Fenster baumeln und fordert mehr Toleranz. „Da brennen Flüchtlingsheime. Diesen Scheiß hatten wir schon“, erinnert er. Hinter Hoftorgittern gefangen zeichnet Fabiola Strugalla einen Lebensplan auf: Kindheit, Abitur, Familie mit Kindern, Rentenzeit, Todesdatum 30.11.2087. „Muss ich die Erwartungshaltungen erfüllen?“ Malte Carstens taucht hinter einer Mauer auf und gibt Impulse zu guten und schlechten Taten. Dass Taten mehr zählen als Worte, vertieft Jakob Fecht als Holzhacker vor der letzten Station. Jule Seiler in einer Hängematte hält dagegen ein Plädoyer für den Stoff, aus dem die Träume sind.

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